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Freitag, 26. August 2016

WhatsApp, Facebook und ungewolltes Outing

Viele BDSMer sind im beruflichen und/oder privaten Umfeld nicht geoutet, weil sie Nachteile befürchten müssen. Dennoch nutzen sie natürlich gängige Kommunikationskanäle und Social Media &ndash, und sind sich dabei oft gar nicht bewusst, wie breit die Datenspur ist, die sie hinterlassen. Selbst wer vorsichtig agiert, kann allerdings ins Messer laufen, wenn bislang getrennte Daten zusammengeführt werden und so neue Rückschlüsse erlauben.

WhatsApp wird in Kürze seine Daten mit Facebook teilen, speziell die mit dem Dienst verknüpfte Handynummer. Da Facebook schon aufgrund der schieren Datenbasis sehr gut darin ist, aus den Kontaktdaten des jeweiligen Nutzers und diversen Metadaten Zusammenhänge herzustellen, kann das zu unliebsamen Überraschungen führen – und das selbst dann, wenn man selbst gar keinen Facebook-Account hat.

Liest man die entsprechenden Artikel und Kommentare, scheint Threema derzeit noch die beste Alternative zu sein:

„Damit wird die Mobilfunknummer langsam zu einer Art universal identifier, mit dem Tracking und Targeting über alle Grenzen hinweg möglich ist. Im Vergleich dazu erscheinen die bisherigen Cookies wie eine Werbetechnologie aus einer Folge der Waltons.“

Bislang waren die Datenbanken von Facebook und WhatsApp nicht direkt verknüpft. Künftig ist der direkte Durchgriff möglich und damit eine weitergehende Bestätigung von Identitäten und Verbindungen. Das ist aus Geheimdienst- wie aus Marketingperspektive das Schöne an Metadaten: Man kann Leute über viele Details zuammenbringen. Und wenn man sich bei Facebook nicht aktiv wehrt, werden bei der Anmeldung mit dem Handy Telefonbuch und E-Mail-Adressbuch an Facebook geschickt, was jede Menge Rohstoff für Data Mining liefert und sich auch auf Leute erstreckt, die weder Facebook noch WhatsApp nutzen. Dabei greift das Six-Degrees-Prinzip, nach dem sich Leute quasi über Bande miteinander verknüpfen lassen, hier eben über die gemeinsamen Kontakte. Anschauliches Beispiel dazu ist die Bacon-Zahl, zum Rumspielen beim Oracle of Bacon.

Update 31.08.2016: Wie um das Risiko zu demonstrieren, ist gerade ein Fall öffentlich geworden, in dem Facebook Patienten einer Psychiaterin anderen Patienten als mögliche Freunde vorgeschlagen hat. Wahrscheinlichster Grund: Sie hatten alle die Telefonnummer der Psychiaterin in ihren Handys.

Montag, 22. August 2016

BDSM und Katzen: Anders als gedacht?

Ich habe ja schon vor längerer Zeit darauf hingewiesen, dass Katzen eine gewisse Affinität zu BDSM haben – nicht nur, wenn es um Bondage geht. Eine neue Studie deutet darauf hin, dass die Katzen sich nicht aufgrund ihres Naturells zu BDSMern hingezogen fühlen oder weil die Seile so ein schönes Spielzeug sind. Stattdessen könnte es umgekehrt sein: Katzen scheinen schuld daran zu sein, dass Menschen zu BDSM neigen, jedenfalls mittelbar: Jaroslav Flegr und Radim Kuba postulieren in The Relation of Toxoplasma Infection and Sexual Attraction to Fear, Danger, Pain, and Submissiveness (Volltext, PDF), dass einschlägige sexuelle Vorlieben durch Toxoplasmose-Erreger ausgelöst werden können, der eigentlich ein Katzenparasit ist, jedoch Menschen als Zwischenwirt nutzt.

Flegr vertritt schon seit Jahren die These, dass eine Reihe von Parasiten das Verhalten von Menschen auf ähnliche Weise beeinflussen wie Leberegel es mit Ameisen tun. Bei Mäusen schaltet der Toxoplasmose-Erreger die Angst vor Katzen aus. Flegr vermutete bereits vor einigen Jahren aufgrund von medizinischen Untersuchungen, psychologischen Tests und Befragungen, dass der Toxoplasmose-Erreger Männer sowohl misstrauischer macht als auch eher gegen gesellschaftliche Regeln verstoßen lässt, während Frauen sich warmherziger und regelkonformer verhalten. Sowohl Männer als auch Frauen litten &ndash, so seine Ergebnisse – häufiger an Schuldgefühlen und Unsicherheit sowie verlangsamten Reaktionen. Dabei deutete einiges drauf hin, dass der Effekt umso stärker ist, je länger die Infektion zurückliegt.

In der neuen Untersuchung nahmen Flegr und Kuba sexuelles Verhalten und sexuelle Vorlieben im Hinblick auf Toxoplasma-Infektionen unter die Lupe. Dabei stellten sie fest, dass sich Träger von Toxoplasma gondii sowohl in ihrem Sexualverhalten als auch in ihren Fantasien und Vorlieben deutlich von Nicht-Infizierten unterscheiden. Die Autoren führen dies auf einen durch den Parasiten bzw. die Immunreaktion auf ihn ausgelösten Dopaminspiegel zurück:

„In agreement with our a priori hypothesis, [Toxoplasma]-infected subjects are more often aroused by their own fear, danger, and sexual submission although they practice more conventional sexual activities than Toxoplasma-free subjects. We suggest that the later changes can be related to a decrease in the personality trait of novelty seeking in infected subjects, which is potentially a side effect of increased concentration of dopamine in their brain.

(…)

The infected subjects expressed a lower tendency toward sexual dominance, tattoo and piercing, watching pornography, group sex, and they are less often engaged in activities that include Bondage, Discipline and Sado-Masochism (BDSM). However, they expressed higher attraction to bondage, violence, zoophilia, fetishism, and, in men, also to masochism, and raping and being raped. Generally, infected subjects expressed higher attraction to nonconventional sexual practices, especially the BDSM-related practices, but they also reported to perform such activities less often than the Toxoplasma-free subjects.“

Flegr weist auf andere Untersuchungen hin, die sich mit den evolutionären Vorzügen abweichenden sexuellen Verhaltens unter spezifischen Umständen befassen. Danach könnte Masochismus bei Frauen nützlich sein, für ihre Nachkommen „gute Gene“ oder ein hinsichtlich der Ressourcen besseres Umfeld zu ergattern, während D/S-Beziehungen Zusammenhalt und Zusammenarbeit zwischen Partnern mit unterschiedlichem Hintergrund verbessern. Flegr und Kuba stellen ihre Hypothese als alternatives Erklärungsmodell dagegen. Sie sehen hier ein „Fatal Attraction“-Phänomen wie bei infizierten Mäusen am Werk.

Um zu überprüfen, ob eine Toxoplasma-Infektion Risikobereitschaft und Abenteuerlust in sexueller Hinsicht erhöhen, befragten die beiden 36.564 Männer und Frauen aus Tschechien und der Slowakei per Online-Fragebogen mit 701 Fragen zu sexuellen Vorlieben ebenso wie zum soziokulturellen Hintergrund und zur Gesundheit. In der Auswertung wurden 350 Variablen berücksichtigt. Daraus ergaben sich 24 Faktoren, die das Sexualverhalten beeinflussen – und bei 18 davon ergab sich ein Zusammenhang zu einer Infektion mit Toxoplasma gondii. Dabei fielen Vorlieben für bzw. Interesse an Sadismus/Dominanz und Bondage markant auf. Flegr betont jedoch, dass eine Infektion insgesamt gesehen nur bereits bestehende Neigungen verstärkt.

„Our study confirmed the existence of specific differences in sexual behavior, desires, and preferences between Toxoplasma-infected and Toxoplasma-free subjects. The character of these changes, that is, the higher attraction to bondage, violence, and, in men, to masochism and raping supports our hypothesis about the coactivation of sex-related and fear-related medial amygdala circuits in humans. It must be stressed that the Toxoplasma infection explains only small part of the variability in BDSM-associated traits.“

Er und Kuba haben auch den Aspekt Novelty Seeking untersucht, der für BDSMer ebenfalls eine Rolle spielt, mal mehr, mal weniger. Das Ergebnis hier: In drei von vier Bereichen liegt bei Infizierten der Novelty-Seeking-Wert unter dem Durchschnitt. Die Träger des Erregers sind reflektierter, fordern detailliertere Informationen, bevor sie sich für oder gegen etwas entscheiden, und lassen sich weniger leicht ablenken. Außerdem sind sie reservierter und kontrollierter und verschwenden weniger Energie und Gefühle. Sie sind stärker organisiert und methodischer und bevorzugen Aktivitäten mit strengen Regeln und Vorgaben – alles Eigenschaften, denen BDSM entgegenkommt.

Die Autoren weisen darauf hin, dass die Umfrage aufgrund des Themas sowie des Umfangs des Fragebogens und der dafür benötigten Zeit vermutlich vor allem Teilnehmer angezogen hat, die entweder ausreichend altruistisch oder aber sehr interessiert an Sex sind. Deshalb seien die Ergebnisse nur begrenzt repräsentativ. Auch bildeten die von den Teilnehmern gegebenen Antworten das Rückgrat der Studie. Allerdings setzten Flegr und Kuba auf einen hohen Wahrheitsgehalt der Antworten, da nur sehr motivierte Teilnehmer den Fragebogen bis zum Schluss ausfüllten.

Dienstag, 10. Februar 2015

Nicht vergessen

Aus aktuellem Anlass staube ich mal ein Zitat ab, das Abraham Lincoln zugeschrieben wird und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch von ihm stammt:

„You can fool some of the people all of the time, and all of the people some of the time, but you can not fool all of the people all of the time.“

Oder auf gut Deutsch: Man kann alle Leute eine Zeitlang zum Narren halten, und man kann auch einige Leute die ganze Zeit zum Narren halten, aber man kann nicht alle Leute die ganze Zeit zum Narren halten.

Samstag, 7. Februar 2015

Nein, Fifty Shades of Grey ist immer noch kein BDSM

Stalker. Missbrauchend. Manipulativ. Missbrauchend. Ignoriert Safewörter. Ignoriert Einverständnis. Kontrollierend. Eifersüchtig. Drohend. Christian Grey ist kein Dom. Quelle:The Sixth Siren of Pandora – http://the6thsiren.tumblr.com/post/109594075930

In den nächsten Tagen kommt die Verfilmung von „Fifty Shades of Grey“ weltweit in die Kinos und dürfte damit die Erfolgsgeschichte der Bestseller-Trilogie fortführen. Und wie damals bei der der Premiere der Romane werden viele Zuschauer nicht nur daraus ihr Wissen gewinnen, was BDSM ist und wie eine D/S-Beziehung funktioniert. So mancher wird wohl auch dazu angeregt, das eine oder andere im Schlafzimmer selbst auszuprobieren. Dass der US-Filmverband MPAA seine R-Einstufung des Films nicht nur mit den sexuellen Inhalten, sondern auch mit „ungewöhnlichem Verhalten“ begründet hat, gilt dann eher als Empfehlung, schließlich ist ja ein bissl Kink und Perversion nicht zuletzt dank der Bücher längst salonfähig.

Nur ist der Film, wenn er der Romanvorlage folgt, kein gutes Beispiel für eine reale SSC-Beziehung, sondern eher die Geschichte eines Missbrauchs, die BDSM und Bondage in ein schlechtes Licht rückt. Das ist mittlerweile auch Medien aufgefallen, die den Hype zunächst befeuert haben.

Die Hoffnung, dass die Verfilmung die größten Probleme und gröbsten Klopper der Bücher ausbügelt, dürfte wohl vergeblich sein. 10 Ways We PRAY The Fifty Shades Of Grey Movie Beats The Book listet die zehn Punkte auf, die der Film unbedingt besser machen müsste, jeweils nebst Begründung:

  1. Keine Kabelbinder.
  2. Keine explosiven Orgasmen durch Liebeskugeln.
  3. Gebt Ana zumindest ein wenig sexuelle Erfahrung.
  4. Komplette Offenlegung, was es mit Sklavenverträgen auf sich hat.
  5. Weniger kontrollierendes, missbräuchliches und Stalker-Verhalten von Christian Grey.
  6. Mehr ausgeglichene, normale Perverse.
  7. Vergesst Anas Essprobleme.
  8. Lasst Ana die Kinky-Elemente mehr genießen und nicht erdulden.
  9. Lasst den einen einer Minderheit angehörenden Charakter weniger als Gelegenheitsvergewaltiger erscheinen.
  10. Keine Erzählung aus Anas Perspektive (und keine innere Göttin).

In Will ‘Fifty Shades Of Grey’ Movie Accurately Depict BDSM? Two Dominatrixes And A Submissive Tell All haben sich mit Mistress Matisse, Mistress Morgana Maye und Stephen Elliot drei Leute, die sich auskennen, über den zu erwartenden Realitätsgehalt des Films unterhalten (Spoiler: Nicht besonders hoch.), geben zugleich einen Einblick, wie es wirklich laufen kann, und rücken einige schiefe Ansichten über BDSM und BDSMer gerade. Auch Kali Williams nimmt einige gängige Mythen im Gefolge von E. L. James’ Serie auseinander. Dagegen kann „Fifty Shades of Grey“ immerhin noch als schlechtes Beispiel dienen – in dieser Hinsicht ist es sehr lehrreich. Wer die Bücher liest oder den Film sieht, kommt kaum auf den Gedanken, dass Konsens oder Sicherheitselemente wie Covern dazugehören.

Ich habe nicht ohne Grund eine Bearbeitung des Filmplakats als Eingangsbild dieses Blogposts gewählt: Es ist Teil einer ganzen Serie, mit der Bloggerin The Sixth Siren of Pandora darauf hinweist, dass „Fifty Shades of Grey“ Missbrauch als Liebesgeschichte zu verkaufen versucht. Wenigstens scheint der Effekt auf die meisten Leserinnen und Leser weniger dramatisch als bisweilen befürchtet – sie leiden nur unter den Folgen der Lektüre schlechter Prosa.

Immerhin haben die Bücher und der kommende Film den Verkauf einschlägiger Spielsachen erheblich angekurbelt, nicht zuletzt dank der gleichnamig gebrandeten Sextoy-Serie. Die von deren Herstellern als Grundlage des Erfolgs behauptete Qualität erweist sich allerdings bei näherer Betrachtung als lachhaft.

Selbst wenn man sich den Film als BDSMer aus klinischen Gründen ansehen wollte: Hauptdarsteller Jamie Dornan hat sich mit seinen Interview-Äußerungen gründlich disqualifiziert. Aber vielleicht ist ja alles ganz anders, und Mr. Greys Spielzimmer sieht wirklich so aus.

Wer nicht neugierig genug ist und seine Zeit besser nutzen will, kann sich ja stattdessen einen Klassiker ansehen – aus Gründen. Und in „Secretary“ ist nicht nur einer der Protagonisten der originale Mr. Grey, er hat außerdem ein interessantes Büro. Der Originaltrailer des ursprünglichen Kinostarts:

Und zum Vergleich dazu der neue Trailer des Re-Releases. Und wer einen authentischen Einblick in die Welt von BDSM und Bondage erhalten will, kann sich The Real 50 Shades of Grey Documentary (Alternativlink) ansehen:

Und da BDSM (Bondage sowieso) und Katzen gut zusammengehen, sei als Alternative noch Fifty Shades of My Cat empfohlen.

Samstag, 10. Januar 2015

50 Shades of Grey schadet Ihrer Gesundheit

Das behauptet jedenfalls eine aktuelle amerikanische Studie, die aufgrund ihres (sicher nicht zufällig gewählten) Themas gerade mediale Aufmerksamkeit erhält. Wer sich anstelle der Presseberichte allerdings „Fiction or Not? Fifty Shades is Associated with Health Risks in Adolescent and Young Adult Females“ selbst vornimmt, sieht das Ganze ein wenig differenzierter und außerdem die Schwächen der Untersuchung. Wen es interessiert: Hier ist die offizielle Pressemeldung, hier die Studie (Volltext als PDF).

Die Studie beschäftigt sich mit den grundsätzlich problematischen Botschaften der Romanserie – eben jene, die auch in der BDSM-Szene kritisiert werden, wonach „Fifty Shades of Grey“ eben keine Geschichte einer BDSM-Beziehung, sondern die Geschichte einer missbräuchlichen Beziehung ist: „depicts pervasive violence against women, perpetuating a broader social narrative that normalizes these types of risks and behaviors in women's lives“ – es geht hier also weniger um BDSM als Lebensstil als um die Darstellung von Gewalt gegen Frauen als normal. Dass BDSM dabei unter die Räder kommt, ist ein anderes Thema, und da kann man den Büchern durchaus Mitschuld geben.

Der Studie zufolge haben Menschen Frauen, die in einer missbräuchlichen Beziehung („abusive relationship“) leben, ein erhöhtes Risiko für Komasaufen („binge drinking“) und häufig wechselnde Sexpartner, außerdem weitere Probleme wie Essstörungen.

Achtung: „häufig wechselnde Sexpartner“ bedeutet im Rahmen der Studie „five or more intercourse partners during their lifetime“, also fünf oder mehr unterschiedliche Partner über das ganze Leben hinweg. Dass die befragten Damen zwischen 18 und 24 Jahren alt waren, ist wohl eine Erklärung für diesen Wert. Im westeuropäischen Vergleich wären fünf Partner in der zwar jungen, aber doch normalerweise sexuell recht aktiven Altersgruppe wohl konservativ geschätzt – da ticken die Amerikaner vermutlich anders. Interessant ist allerdings, dass einmal Analsex soviel zählt wie fünf „normale“ Sexpartner. Das ist gerade für die USA recht vielsagend, denn da gelten Oral- und Analsex unter Jüngeren als beliebte Alternativen zum Vaginalverkehr, weil Frau dabei Jungfrau bleiben kann und damit eigentlich nicht so wirklich Sex hat.

Das Hauptproblem ist nach Ansicht der sechs Studienautorinnen, dass Personen, die ohnehin schon zu den entsprechenden Risikogruppen gehören, durch die Lektüre in ihrem Verhalten bekräftigt werden, statt sich Hilfe zu suchen.

Einen Unterton auf der Andrea-Dworkin- und Alice-Schwarzer-Linie sehe ich darin, dass die Autorinnen grundsätzlich davon ausgehen, dass Bücher wie „Fifty Shades of Grey" oder Pornographie (gerade Online-Pornographie) nicht nur unrealistische Erwartungen an realen Sex wecken, sondern auch grundsätzlich dazu dienen, Gewalt gegen Frauen sozial akzeptabel zu machen. Diese These würde ich ja nun nicht unbedingt unterschreiben.

Und die These, dass „andere Werke der populären Kultur“ auf der gleichen Schiene fahren, ausgerechnet mit „Twilight“ zu begründen, wo 50SOG doch als Twilight-Fanfic begonnen hat und genau die Schwächen und Probleme des Originals übernommen und verstärkt hat, ist eher peinlich.

Interessant bei der Untersuchung ist auch, dass „Fifty Shades of Grey“ gemeinhin als „Mommy Porn“ gilt, aber hier Frauen der Altersgruppe 18–24 unter die Lupe genommen wurden. Begründung: Da sei die Bereitschaft größer, in Sachen Sex auf Erkundung zu gehen. Es kann natürlich auch daran liegen, dass die Autorinnen sich nicht zu viel Arbeit machen wollten und damit schon im Vorfeld der Studie einen gewissen Drall gegeben haben.

Aus der Pressemitteilung geht die Aufteilung der Probandinnen nicht hervor, die Studie ist da aussagekräftiger: „219 who read at least the first Fifty Shades novel and 436 who did not read any part of Fifty Shades“. Außerdem waren die Befragten ausschließlich Studentinnen der Ohio State University, und wie einige unschöne Skandale der letzten Zeit gezeigt haben, ist aufgrund der Strukturen des US-Bildungswesens und der typischen Erziehungstraditionen (Prüderie, Konformitätsdruck, „Jock Culture“ etc.) an US-Universitäten die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, als Studentin sexuell belästigt oder missbraucht zu werden, wobei die Betroffenen aus Angst vor Repressalien schweigen.

Insofern sollte man der Studie bezüglich ihrer Aussagekraft über BDSM und BDSMer nicht zu viel Gewicht zusprechen.

Sonntag, 21. Dezember 2014

Mr. Red statt Mr. Grey

Mit dem nahenden Start der Verfilmung ist „Fifty Shades of Grey“ in den Medien präsenter denn je. Der Pseudo-BDSM-Unfug wird davon nicht besser, aber eine umso dankbarere Zielscheibe für Parodien und Veralberungen aller Art. So hat das auf Porno-Parodien bekannter Filme spezialisierte Studio Woodrocket für die amerikanische Sex-Shop-Kette Lion’Den eine Reihe von Werbespots gedreht, unter anderem eben Fifty Shades of Santa:

Und so ein fliegender Schlitten ist ja schließlich auch origineller als ein Hubschrauber, wie eine weitere saisonal passende Parodie beweist:

Beide geben der Standardfrage „Naughty or nice“ jedenfalls eine neue Bedeutung. Ho ho ho.

Dienstag, 16. Dezember 2014

Protest in England: Sex ist Privatsache. Kink auch.

Ich hatte bereits neulich über das neue britische Gesetz berichtet, dass die Darstellung bestimmter Ausprägungen von Sexualität verbietet. Die „Audiovisual Media Services Regulations 2014“ lösen nicht nur internationales Kopfschütteln – Slate etwa titelt „British Government, Terrified of Female Sexuality, Is Censoring Bondage Porn“ – und beißende Kommentare aus wie jenen von Guardian-Kolumnistin Suzanne Moore, die die neuen Vorschriften als „komplett lächerlich“ und „bizarr, willkürlich und nicht zum Jugendschutz geeignet“ ansieht:

„One pretend answer is censorship. Why anyone in their right mind would hand any more power to the state over what they can see is utterly beyond me. If feminists think that government has women’s interests at heart, they are deluded. Most of what we all find immoral is already illegal, and it can’t be made any more illegal.

(…)

It is incredible that a committee of serious people has seriously come up with legislation that bans me from paying to watch a woman sitting on a man’s face, whereas in TV shows such as The Fall women’s fear is pimped as stylish titillation. And that’s how censorship works: it creeps in through any available orifice. Is this consensual? No. Policing fantasy never is.“

Als Reaktion haben sich auch Betroffene zu einem öffenlichen Protest vor dem Parlament zusammengefunden:

Video: London Sex Protest - 12/12/14

Den passenden Soundtrack hat Monty Python schon vor Unzeiten geliefert:

Selbst der stellvertretende britische Premierminister Nick Clegg ist mittlerweile der Ansicht, dass das neue Gesetz zu weit geht: „Government is not there to stick its nose in the bedroom as long as people are not doing things which are illegal under the law.“ Schließlich zeigen Statistiken, dass Bondage, Spanking und andere unter das neue Gesetz fallende Praktiken bei Briten sehr beliebt sind.

Mittwoch, 3. Dezember 2014

No sex please, we’re British: England mal wieder vorne dran auf dem Weg zurück

Mit einem neuen Gesetz, das zum 1. Dezember 2014 in Kraft getreten ist, hat England die schleichende Zensur einen Schritt weiter gedreht: Die Audiovisual Media Services Regulations 2014 definieren ab sofort, was britische Online-Anbieter in Sachen Sex zeigen dürfen, und was nicht. Die lange Liste der Dinge, die künftig zu bäh für das Publikum auf der Insel sind, umfasst unter anderem Einschlägiges wie Spanking, Züchtigung mit dem Rohrstock oder Auspeitschen, sobald es jeweils nicht mehr „zart“ ist, aber auch Beschimpfungen – egal, ob in gegenseitigem Einverständnis und SSC oder nicht. Ebenfalls verboten ist Bondage, Begründung: Ein gefesseltes und geknebeltes Modell könne eine vorher erteilte Zustimmung nicht eindeutig zurücknehmen.

Interessant dabei ist, dass auf der umfangreichen Abschussliste bevorzugt Praktiken stehen, die eher Frauen als Männer befriedigen. Regisseurin Erika Lust zieht deshalb in einem Kommentar im Independent das Fazit, dass das neue Gesetz den erotischen Film in England wieder auf „langweilige, unrealistische Männerfantasien“ reduzieren wird. Bereits jetzt ist abzusehen, dass vor allem kleine Produzenten aus dem Fetischbereich am stärksten betroffen sein werden: British BDSM Enthusiasts, Say Goodbye to Your Favourite Homegrown Porn.

In letzterem Artikel weist Jerry Barnett , Gründer der Kampagne Sex and Censorship, darauf hin, dass das neue Gesetz im Hinblick auf den behaupteten Kinderschutz sinnlos ist, jedoch nur ein weiterer Schritt auf dem langsamen, stetigen Marsch hin zu einer umfangreichen Online-Zensur:

„I’m worried this will help build the case in the future for wide-scale blocking of ‘illegal’ sites. Along with panics over terrorism and pressure over copyright theft, we seem to be edging towards a more censored network.“

Als Mosaikstein passen die Audiovisual Media Services Regulations 2014 jedenfalls zu anderen umfassenden Maßnahmen, die trotz erwiesener Fehlschläge nicht nur beibehalten, sondern ausgebaut werden, um weit über die behaupteten Zwecke reichende Filter zu installieren und alles, was Regierung und Lobbyisten unliebsam ist, ausblenden zu können.

Dienstag, 2. Dezember 2014

De Sade – aktueller denn je

Heute jährt sich zum 200. Mal der Todestag von Donatien Alphonse François de Sade – jenes Mannes, der für einen Teil des Spektrums von BDSM posthumer Namensgeber geworden ist. Die Interpretation und Vereinnahmung de Sades nicht nur dafür ist ebenso wie seine Dämonisierung gleichermaßen zeit- und ideologieabhängig. Doch egal, ob man die „120 Tage von Sodom“ die „Juliette“ und andere Werke als Vorlage für Kopfkino und niedere Regungen liest, als Gedankenexperiment, als kranke Phantasien eines skrupellosen Monsters, als philosophische Diskurse oder als Kampfschriften wider gesellschaftliche Konventionen: De Sade war Libertin nicht nur im Sinne sexueller Freiheit sondern auch in der Freiheit des Denkens, in seiner Radikalität gegenüber der zeitgenössischen Moral ein Moralist mit amoralischem Gestus und so ein Wegbereiter der Moderne.

Wer sich mit dem „göttlichen Marquis“, wie ihn Apollinaire betitelte (selbst mit seinem Werk einschlägig), näher beschäftigen will, sollte Volker Reinhardts aktuelle Biographie De Sade oder Die Vermessung des Bösen (Leseprobe, alternativ hier; Inhaltsverzeichnis) lesen.

Dienstag, 21. Oktober 2014

Wehren – aber richtig

Je nachdem, wie jemand BDSM und Bondage betreibt, kann mehr oder minder heftige Gegenwehr von Sub/Bottom, die Top/Dom brechen muss, zu einer Session gehören. Grund dafür ist vielleicht die sportliche Herausforderung, vielleicht die Fantasie des/der Unterlegenen „gegen den eigenen Willen“ etwas tun oder erdulden zu müssen – da müssen Begünstigte, die auf sich halten, sich natürlich mit aller Kraft zur Wehr setzen.

Gegenwehr als solche ist ja durchaus unterhaltsam, und im Rollenspiel mache ich das auch gerne – aber als Rigger, Top und Gelegenheitsdom wäre ich doch sehr dankbar, wenn das „Wehren mit aller Kraft“ Verhandlungssache ist, sprich: sich im abgesprochenen Rahmen bewegt und die Begünstigte beim Wehren nicht alle Bremsen herausnimmt.

Echte Gegenwehr birgt selbst bei einer freundschaftlich gestimmten Rangelei ein gewisses Verletzungsrisiko. Und es ist noch lange nicht gesagt, dass Top/Dom im Ernstfall die Oberhand behalten würde. Ich habe schon mehr als eine Kampfsportlerin mit langjährigem Training und entsprechender Qualifikation verschnürt – wenn die betreffenden Damen sich bei einer Session wirklich gewehrt hätten, bevor die Seile saßen, wäre ich binnen Sekunden platt gewesen.

Wer Kidnapping- und Rape-Games ausprobieren will, sollte mit seinem Partner vorher festlegen, wie weit es jeweils gehen darf, was nicht geht, und zumindest am Anfang mit Ampelregel spielen, bis man sich mit in diesem Zusammenhang einander sicher ist. Eine auch nur gespielte Kampfsituation kann schließlich auch beim „Opfer“ unschöne Reaktionen triggern, von echter Panik über Absturz bis zur Überreaktion, die Dom zum Arzt bringt.

Die eine große Gefahr ist dabei, dass eine wunderschön und spannend ausgemalte Fantasie in der Realität weder wunderschön noch spannend ist, sondern furchterregend und brutal, weil Körper und Psyche in der wahrgenommenen Bedrohung auf Panikprogramm schalten und dann auf die Schnelle auch nicht mehr aus der Panik herausfinden. Die andere ist, dass Top/Dom die Gegenwehr mit zu viel Kraft brechen will. Und das kann nicht nur schwere Verletzungen bedeuten, sondern durchaus auch Lebensgefahr, wenn etwa das Gegenüber die körperlichen Reaktionen bei einer bereits einsetzenden Atemnot immer noch als Gegenwehr deutet und massiv dagegen hält.

Freitag, 10. Oktober 2014

Vom Umgang mit Menschen

Eigentlich sollte dieser Beitrag an einer anderen Stelle erscheinen. Dort wurde die entsprechende Diskussion allerdings par ordre du mufti beendet, kaum dass sie begonnen hatte. Mir ist das Thema wichtig genug, dass ich es nun hier anspreche. Auslöser war mit ein Grund, warum ich in der letzten Zeit auch wenig Lust hatte, mich online zu betätigen: Die Diskussionskultur, oder was manche dafür halten.

Ich bin alt genug und lange genug im Internet unterwegs, um Usenet und IRC vor dem ewigen September aktiv miterlebt zu haben, und ich fand die grundsätzlich dort vorherrschende Einstellung sehr sinnvoll. Ich sehe es gern, wenn eventuelle Probleme in einer wie auch immer definierten Gruppe 1. bevorzugt öffentlich statt hintenherum und 2. auf sachlicher Ebene ausgetragen werden. Zudem wäre es sehr sinnvoll, wenn Themen nicht immer gleich zur Staatsaffäre gemacht würden, sondern die Beteiligten zunächst einmal auf direktem Weg versuchten, das miteinander zu klären.

Eine gute Faustregel ist das, was Jon Postel in einem der Grundlagentexte des Internets geschrieben hat, und was sich von den technischen Aspekten weg auch zu einer Maxime der elektronischen Kommunikation entwickelt hat: „Be liberal in what you accept, and conservative in what you send.“

Das Problem der Kommentarkultur ist nicht neu. Und ebenfalls nicht neu ist das damit eng verknüpfte Problem, dass die, die qua Funktion mäßigend wirken sollten, gelegentlich nicht objektiv beobachten und steuern, sondern sich selbst ins Getümmel stürzen. Dabei zeigt sich immer wieder, dass dies Atmosphäre und Umgangston nicht guttut und außerdem noch mehr Arbeit verursacht. Eine recht wirksame Strategie ist dagegen das Prinzip der deeskalierenden Faulheit.

Grundsätzlich ist meines Erachtens für alle Teilnehmer einer Diskussion die sinnvolle Reihenfolge für das Reagieren auf Beiträge:

  1. Lesen
  2. Verstehen
  3. Nachdenken
  4. Antworten

Sprich: Vor einer Eskalation noch einmal genau lesen, was da steht, überlegen, wie es denn gemeint sein könnte, und dann erst antworten.

Und was das erwähnte „konservativ“ angeht: Menschen haben nun einmal verschiedene Meinungen. Eine Diskussion kann auch einmal emotionaler werden. Auf der Sachebene zu bleiben bedeutet nicht, dass man sich nicht heftig streiten könnte – aber eben um Sachverhalte, nicht um Befindlichkeiten. Das sollte aber nicht Anlass sein für Blutfehden, weil Meinungen differieren. Im Normalfall lässt sich immer eine gemeinsame Grundlage finden, wenn die Gemüter sich beruhigt haben.

Zuweilen wird in Online-Diskussionen sehr aus der Hüfte geschossen, weil jemand einen Post missverstanden hat (oder wohl manchmal auch missverstehen will) und in hyperventilierender Empörung losgaloppiert. Wird dann vor lauter Mimimi nicht die direkte Auseinandersetzung gesucht, sondern sich insgeheim an übergeordneter Stelle beschwert, ufern auch eigentlich leicht aufzuklärende Missverständnisse schnell in massive Konflikte aus.

BTW: Ad-hominem-Anwürfe sollten grundsätzlich vermieden werden, egal ob öffentlich oder per E-Mail: Ein „Du Arschloch“ oder, ein wenig differenzierter „Ich halte Dich für ein Arschloch“ trägt ebenso wenig zu einer Diskussion bei wie ein „Halt den Mund, Du hast doch keine Ahnung“.

Montag, 22. September 2014

Nur Schweinkram!

Dieses Video des Department of Dirty zeigt, wie schnell man sich in den neuen Internetfiltern verfängt, wie sie etwa England inzwischen verpflichtend eingeführt hat:

Der entnervte Hobbykoch ist ein Opfer jener Überfilterung, die nicht nur die Briten, diese aber ganz besonders, gerade als Folge von politischem Aktionismus erdulden dürfen. Und das, obwohl die als Grund vorgeschobenen Kinder solche Maßnahmen eher aushebeln als ihre Eltern und das Thema auch sonst vernünftiger sehen als die Politiker. Ach ja – der Held des Spots wollte einfach nur dieses Gericht kochen.

Sonntag, 17. August 2014

Ach, wirklich?

Jetzt, wo das böse Buch verfilmt wird (und womöglich seine Fortsetzungen ebenfalls), kommen auch die Medien, die den Hype mit befeuert haben, langsam auf den Trichter: „SM-Profis ist ‚Fifty Shades of Grey’ zu hart“ betitelt aktuell woman.at einen entsprechenden Artikel. Dass das Buch eher die Geschichte eines Missbrauchs als einer SM-Beziehung darstellt, ist nicht nur in der BDSM-Szene nicht wirklich neu. Aber schließlich ist schon die Vorlage, auf der das als Twilight-Fanfic gestartete Werk basiert, hinsichtlich der Darstellung einer Beziehung eher fragwürdig. Und der Spin-off von E. L. James war zumindest anfangs Mary Sue auf Anschlag. Insofern: What else is new?

Gut, Buchserie und Medienrummel haben das Thema BDSM nach der Aufbruchsstimmung der 90er wieder einmal ins Licht der Öffentlichkeit geholt. Gleichzeitig vermittelt es so ein schiefes Bild des Ganzen, dass es eher Frischfleischjägern, Vertretern des Einzig wahren BDSM™ und anderen fragwürdigen Gestalten in die Hände spielt. Ja, natürlich sollten auch Fans Fantasie und Wirklichkeit auseinanderhalten können und mitkriegen, dass der Realitätsgehalt der Bücher ungefähr dem einer RTL2-„Reportage“ über BDSM und Bondage entspricht. Aber manche Einsteigerin redet sich dennoch damit Dinge schön, wo längst die Alarmglocken klingeln sollten, und mancher Möchtegern-Mr.-Grey versucht Dinge nachzumachen, die real nicht funktionieren oder riskanter sind, als er meint.

Montag, 14. April 2014

Aber sicher doch

Ich hatte ja neulich schon über den neuen Anlauf berichtet, das Internet zum Kindernet zu machen. Deutsch sein heißt eben immer noch, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun, und wenn die ganze Welt dagegen steht. Das ist die Crux des Ganzen, die jeden betrifft, der Inhalte in deutscher Sprache verbreiten will und keine Rechtsabteilung im Rücken hat:

„In der traditionellen Medienproduktion – Film, Rundfunk, Fernsehen, Zeitungen – sind die Produktionskosten so hoch, daß Inhalte nur kommerziell verwertbar angeboten werden und der Anbieter damit gezwungen ist, sich unter ein Bewertungsregime zu unterwerfen, um seine Produktionskosten wieder herein zu bekommen. Also überhaupt sich mit dem JMStV auseinander zu setzen und sich um eine möglichst niedrige Einstufung zu kümmern, damit seine Zielgruppengröße maximiert ist.

Aber für ein Blog und andere Internetmedien ist das schlicht mehr wahr. Damit fehlt die Motivation, seine Inhalte möglichst niedrig einzustufen, oder gar überhaupt einzustufen, denn keine Einstufung entspricht ‚ab 18’.

Die traditionellen Jugendschützer wollen das kompensieren, indem sie für ‚ab 18’ einen Haufen sinnlosen Overhead erzeugen – einen Jugendschutzbeauftragten benennen, Zugang nur nach Registrierung mit dem nPA und anderen Unsinn. Alles, was sie damit erreichen, ist Blogs und andere ‚nebenbei erzeugte’ Inhalte in deutscher Sprache abzumurksen.“

Aber es wird natürlich noch besser: Inzwischen stehen vorinstallierte Filter für alle Internetanschlüsse nach englischem Vorbild im Forderungskatalog, ungeachtet der vielfach bewiesenen Tatsache, dass sich soziale Probleme nicht mit technischen Mitteln lösen lassen. Dass damit die Axt an die Meinungs- und Informationsfreiheit gelegt wird, wird dabei anscheinend bewusst in Kauf genommen. Zudem wird auch schon unverhohlen angekündigt, dass die Freiwilligkeit der Kennzeichnung ganz schnell zur Kennzeichnungspflicht werden kann, sobald ein passender Anlass dafür da ist. Ein neuer Amoklauf, und schon ist die Filter-Infrastruktur begründet … Immerhin steigt dann vermutlich die Medienkompetenz von Kindern und Eltern, wenn sie dann zwangsläufig lernen, wie man mit Zensurmaßnahmen umgeht und sie auch umgeht, wenn das „offizielle Internet“ nur aus einer Auswahl einheimischer Websites und den internationalen Angeboten besteht, die sich um eine für Deutschland konforme Einstufung bemühen. Aber eventuell sind es ja nicht nur politische Gründe, Mauern hochzuziehen, sondern auch kommerzielle: Schließlich haben geprüfte und zugelassene Anbieter dann die große und kaufkräftigen Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen für sich, und ganz nebenbei verschafft das neue Regelungsdickicht jeder Menge Juristen und Beratern ein Auskommen.

Ein anderes Dauerthema ist die Vorratsdatendatenspeicherung. Auch wenn der Europäische Gerichtshof vor kurzem die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung eingestampft hat, heißt das nicht, dass das Thema damit erledigt ist. Zu groß sind die Begehrlichkeiten auf nationaler und internationaler Ebene, als dass hier nicht wieder neue Anläufe unternommen würden – das zeigt schon die bisherige Geschichte. Ein postuliertes „Grundrecht auf Sicherheit“ lässt sich ausgezeichnet dazu einsetzen, die Freiheit einzuschränken. Wie das aussehen kann, zeigen wieder einmal die USA, wo der präventive Polizeistaat à la „Minority Report“ längst keine Fiktion mehr ist. So hat mittlerweile ein Gericht bestätigt, dass die Polizei aufgrund gesammelter Daten und davon abgeleiteter Prognosen tätig werden darf, bevor überhaupt irgend etwas passiert ist.

In Europa kann man wenigstens bei der nächsten Europawahl versuchen, ein wenig gegenzusteuern. Deshalb ruft Jacob Appelbaum dazu auf, gegen flächendeckende, unkontrollierte Überwachungsmaßnahmen aktiv zu werden, denn „Mass surveillance creates mass fear.“ – wer ständig beobachtet wird, benimmt sich und lebt anders als jemand, dem nicht ständig Big Brother über die Schulter schaut und Verdachtsmomente konstruiert:

(Video mit Untertiteln in mehreren Sprachen)

Donnerstag, 3. April 2014

Neues vom Kindernet und andere Ärgernisse

Die Angriffe auf die Freiheit des Netzes gehen weltweit weiter. Die vorgeschobenen Begründungen wechseln, die Ziele dahinter bleiben gleich: Unterdrücken missliebiger Meinungen und flächendeckende Überwachung – natürlich nur zu unserem Besten.

Eine Variante davon ist das Kindernet, das prophylaktisch alles wegfiltert, was womöglich nicht kindgerecht sein könnte – auch wenn der Inhalt sich nicht an Kinder richtet und die als schutzwürdig ins Auge gefassten Kinder ohne elterliche Aufsicht ohnehin nicht ins Internet sollten. Soziale Probleme lassen sich nun einmal nicht mit Technik lösen.

England greift dabei besonders tief in die Mottenkiste: Der Parlamentsausschuss für Kultur, Medien und Sport hat vorgeschlagen, Online-Inhalte auf Basis des Obscene Publications Act von 1959 zu filtern – des Gesetzes, mit dem vergeblich versucht worden war, die Veröffentlichung von „Lady Chatterley’s Lover“ zu verhindern. In Deutschland ist es die aktuelle Novelle des Jugendschutzgesetzes, die schon einmal abgelehnte Vorschläge wieder aufwärmt, ergänzt mit neuen Verschärfungen wie Altersfreigaben für Soziale Medien, die auch Betreiber von Foren und Blogs in die Haftung nehmen sollen. Da kleine Anbieter die vorgeschlagenen Anforderungen kaum erfüllen können, dürfte der einzige Weg sein, alles „ab 18“ zu kennzeichnen und sich aus dem deutschen Teil des Internets weitgehend zu verabschieden. Die Meinungen unter Juristen zur JMStV-Novelle reichen von „unausgegorene Vorschläge“ bis „schlimmer geht’s nimmer“.

Man kann es natürlich auch einfach wie die Türkei machen und unter lautem „Notstand“- und „Gefahr im Verzug“-Geschrei erst Twitter und dann Youtube und Facebook blockieren, egal wie die Gesetzeslage lautet. Die Menschenrechtskonvention kann man ja ohnehin ignorieren. Das Interessante daran ist, dass das Nicht-EU-Mitglied Türkei modellhaft eine umfassende Sperr- und Zensur-Infrastruktur einschließlich Deep Packet Inspection errichtet, von der so mancher EU-Staat träumt.

Auch wenn die Meldung, dass Google dem britischen Innenministerium erweiterte Sperrrechte für Youtube zugesteht, auf einem Missverständnis beruht: Es ist angesichts der Enthüllungen der vergangenen Monate nicht erstaunlich. dass praktisch jeder sie für völlig plausibel hielt. Dazu passt, dass Buzzfeed zum 1. April eine Liste mit zehn unglaublichen Spionage-Enthüllungen veröffentlicht hat – und nur eine davon war ein Aprilscherz.

In Australien will dafür das Justizministerium Datenverschlüsselung auf kaltem Weg aushebeln. Und während nicht nur in den USA die großen Online-Konzerne verkünden, ihre Dienste gegen staatliche Lauscher abzusichern, weist Sicherheitsexperte Bruce Schneier darauf hin, dass sich trotz dieser Beteuerungen an der „Public/Private Surveillance Partnership“ zwischen Unternehmen und staatlichen Stellen nichts ändern wird:

„Google’s recent actions, and similar actions of many Internet companies, will definitely improve its users’ security against surreptitious government collection programs – both the NSA’s and other governments’ – but their assurances deliberately ignores the massive security vulnerability built into its services by design. Google, and by extension, the U.S. government, still has access to your communications on Google’s servers.

Google could change that. It could encrypt your e-mail so only you could decrypt and read it. It could provide for secure voice and video so no one outside the conversations could eavesdrop.

It doesn’t. And neither does Microsoft, Facebook, Yahoo, Apple, or any of the others.

Why not? They don’t partly because they want to keep the ability to eavesdrop on your conversations. Surveillance is still the business model of the Internet, and every one of those companies wants access to your communications and your metadata. Your private thoughts and conversations are the product they sell to their customers. We also have learned that they read your e-mail for their own internal investigations.“

Es gibt also gute Gründe, gegen Vorratsdatenspeicherung in ihren unterschiedlichen Ausprägungen vorzugehen. Wie Forscher der Universität Stanford anhand von Telefon-Verbindungsdaten gezeigt haben, verraten alleine die „harmlosen“ Metadaten schon extrem viel über individuelle Vorlieben und Beziehungen und sind damit entgegen der öffentlichen Wahrnehmung extrem sensible Daten.

Und manchmal kommt die Überwachung durch die Hintertür. Insofern wäre es tatsächlich höchst riskant, sollte der Vorschlag umgesetzt werden, für das einfachere Übertragen verschlüsselter Daten „vertrauenswürdige Proxy-Server“ auf technischem Weg zu definieren. Lauren Weinstein sagt zurecht: „What they propose for the new HTTP/2.0 protocol is nothing short of officially sanctioned snooping.“

Ramez Naam ist dennoch zuversichtlich, dass wir es schaffen, die Dystopie eines umfassenden Überwachungsstaates zu verhindern.

Sonntag, 9. März 2014

Es is a Hetz

Bevor sich noch mehr ansammelt, mal wieder ein schneller Überblick zu relevanten Themen – unschön, aber wichtig:

Privacy International hat „The State of Privacy 2014“ zu Datenschutz und Datenschutzbewusstsein in aller Welt veröffentlicht (voller Bericht als PDF). La Quadrature du Net hat mit „Reclaim Our Privacy“ das passende Video als Ergänzung:

Die bereits erwähnte, trotz des Titels deutschsprachige Serie „How to Analyze Everyone“ ist um einige Artikel gewachsen, in denen unter anderem erklärt wird, wie sich persönliche Vorlieben und Entscheidungen aus Mustern vorhersagen lassen. In der Zwischenzeit hat Peter Acworth, der Gründer von Kink.com, gesagt, dass er keine Probleme befürchtet, wenn er die Vorlieben und Sehgewohnheiten seiner Kunden auswertet – wen außer seinem Unternehmen könnte das schon interessieren:

„I shouldn’t think anyone would really be interested in that. Who would want to buy data pertaining to whether somebody likes bondage or spanking?“

Dabei kann ja auch nichts passieren, sieht man am Beispiel des Nationalen Gesundheitsdienstes in England, wo die auch gegen Widerspruch von Betroffenen gesammelten Gesundheitsdaten von 47 Millionen Bürgern an ein Consulting-Unternehmen weitergegeben wurden, das die Daten zur schnelleren Analyse in Google gekippt hat, inklusive genügend Zusatzinformationen, um die Gesundheitsdaten den Personen zuzuordnen.

Der Kauf von WhatsApp durch Facebook hat viele Nutzer auf Alternativen umsteigen lassen. Dabei wurden plötzlich auch Datenschutz und Verschlüsselung zum Thema. Doch gerade bei Verschlüsselung sollte man nicht jedem Versprechen glauben; mobile Anwendungen sind nun einmal grundsätzlich unsicher. Inzwischen ist bekannt geworden, dass die NSA großflächig die Webcam-Gespräche von Yahoo!-Nutzern mitgeschnitten hat. Bei der Auswertung hatte sie dann damit zu kämpfen, dass die Masse der auf diesem Kanal verschickten Privatpornos nicht nur automatische Filter überfordert, sondern auch die Geheimdienstmitarbeiter zu sehr abgelenkt hat. Das hat Charles Stross zu „Rule 34, meet Kafka“ inspiriert:

„I am still trying to get my head around the implications that the British government’s equivalent of the NSA probably holds the world’s largest collection of pornographic videos, that the stash is probably contaminated with seriously illegal material, and their own personnel can in principle be charged and convicted of a strict liability offence if they try to do their job. It does, however, suggest to me that the savvy Al Qaida conspirators (yes, I know this is a contradiction in terms) of the next decade will hold their covert meetings in the nude, on Yahoo! video chat, while furiously masturbating.“

Weniger lustig ist dagegen, wie Geheimdienste im Internet manipulieren, täuschen und das Ansehen von Personen ruinieren. Die Überwachung wird währenddessen umfassender und allgegenwärtig, auch außerhalb des Internets. Zu der vor einiger Zeit erwähnten Präsentation “Meet Jack. Or, What The Government Could Do With All That Location Data„ gibt es jetzt ein Video:

Auf dem Flughafen von Newark wird ein „intelligentes“ LED-Lichtsystem getestet, das zugleich ein Überwachungsnetzwerk ist (deutsche Zusammenfassung). Und in Europa soll nach Möglichkeit eine Vorratsdatenspeicherung für Reisedaten eingeführt werden. Ach so, ich vergaß, „Vorratsdatenspeicherung“ soll man ja nicht mehr sagen, sondern stattdessen „private Vorsorgespeicherung“. Das Ministerium für Wahrheit lässt grüßen.

Den Politikern überall ist das Netz ohnehin zu offen. Der britische Minister für Migration will Grenzkontrollen im Internet und die Netzfilter auf „radikale Videos“ ausdehnen, der niedersächsische Landesmediendirektor will Pornofilter für das deutsche Internet, möglicherweise aus Angst um die eigenen Pfründe. Ein Schelm , wer beim propagierten Aufbau eine von den USA unabhängiger europäischer Kommunikationsnetzwerke Böses vermutet. Die Balkanisierung des Internets schreitet voran.

Auch das Thema Netzneutralität ist immer noch aktuell:

Ebenfalls nicht enden wollen die Versuche, Nutzern die Kontrolle über ihre Rechner und Programme zu nehmen. Neuestes Beispiel ist Netflix, das Kunden Browserfunktionen sperrt, wenn sie Filme ansehen wollen. Selbst Kaffee- und Kaffeemaschinenhersteller springen auf den DRM-Zug auf – es bleibt die Hoffnung, dass solches Verhalten vor Gericht scheitert.

Samstag, 8. März 2014

Wunschzettel

Angesichts des Internationalen Frauentags möchte ich feststellen: Ich haue nur Frauen, die es wirklich wollen. Und sollte sich eine Dame an den Herd gekettet wiederfinden, dann nur, weil es ihr auch gefällt.

Sonntag, 9. Februar 2014

Business as usual

Privatsphäre? Da war doch noch was: Ich und mein Netz – Brauchen wir eigentlich Privatsphäre? Dabei wird es immer schwerer, irgendetwas privat zu halten egal, ob im Netz oder außerhalb:

Die flächendeckende automatische Verknüpfung von Daten kann erhebliche Folgen haben, wie die in „Google outed me“ geschilderten Beispiele zeigen. Und selbst wer der Problematik gewahr ist und einer weitergehenden Nutzung seiner Daten aktiv widerspricht, kann sich nicht darauf verlassen, dass das eingehalten wird: Das müssen etwa gerade die Briten erfahren, deren im NHS erfasste Patientendaten auch nach Opt-out weitergegeben werden – und das recht umfassend an viele interessierte Stellen, einschließlich der Industrie.

Überhaupt, Großbritannien: Was sich da schon abzeichnete, schlägt weiter Wellen. Und es zeigt sich, dass eine schlechte Idee auch mit Nachbesserungen nicht besser wird.

Solche Fehlschläge hindern natürlich niemanden daran, Ähnliches auch an anderer Stelle zu versuchen. Mal „nur“ aus Prüderie – Keine Apps mit nackten Menschen bei Chromecast –, mal aus knallhartem politischem Kalkül. So orientiert sich die aktuelle Internet-Regulierung in der Türkei klar am chinesischen Vorbild und kommt den feuchten Träumen vieler europäischer Politiker durchaus entgegen.

Eine andere Form der Zensur, diesmal durch die mit den größten Geldbeuteln, ist die Einschränkung der Netzneutralität. Wie sowas dann in der Praxis aussieht, zeigt das Beispiel des US-Providers Verizon, der gleich Amazon-Cloud-Dienste ausbremst, um Netflix zu Zahlungen für bevorzugte Behandlung zu bewegen (deutschsprachiger Überblick). Nicht ohne Grund kämpfen die großen Anbieter gegen ein offenes Internet, ist es doch die einzige Chance gegen ihre Oligopole. Goodbye Net Neutrality, Hello Gilded Age Internet:

Mein Entschluss, keine E-Books zu kaufen, ist abermals bekräftigt worden: Adobe hat ein neues DRM-Verfahren angekündigt und wird damit voraussichtlich früher gekaufte E-Books ebenso wie ältere E-Book-Reader unbrauchbar machen. E-Book-Leser erwerben keine Bücher, sondern jeweils jederzeit widerrufbare, eng begrenzte Leselizenzen zum Preis eines Buchs. Dass DRM für den Anwender alles andere als gut ist, beleuchtet der als Schriftsteller selbst betroffene Cory Doctorow in What happens with digital rights management in the real world?.

Die nächste Front ist auch schon wieder eröffnet – europäische Verwertungsgesellschaften wie die deutsche GEMA, die österreichische AKM oder die niederländische BUMA/STEMRA wollen künftig doppelt und dreifach abkassieren und auch das Einbetten von Youtube-Videos lizenzpflichtig machen.

Wundert sich irgendwer?

Sonntag, 19. Januar 2014

Knapp verpasst

Heute habe ich mitbekommen, dass gestern der International Fetish Day war, der 2014 bereits zum siebten Mal stattgefunden hat. Er soll darauf aufmerksam machen, dass Sexualität höchst vielfältig ist und Fetische und Fetischismus weiter verbreitet sind, als mancher glauben will. Als Bondager, Rigger und auch sonst der einen oder anderen Perversion nicht abgeneigter Mensch unterstütze ich die Position, dass unter vernünftigen, informierten Erwachsenen mit Gefühl und Respekt viele Dinge möglich sind, die nach herkömmlichen Vorstellungen seltsam erscheinen mögen. Na gut, dann eben nächstes Jahr.

Riskante Aufnahmen

Private Bilder und Videos auch bei einschlägigen Aktivitäten zu zweit (oder mehreren) sind heute technisch kein Problem und werden entsprechend oft gemacht. Was im Moment der Entstehung eine schöne Erinnerung oder ein zusätzlicher Kick ist, kann im Nachhinein zum Alptraum werden. Mitunter landen Fotos und Filme im Netz, bei denen die Akteure gut identifizierbar sind, ohne dass dies beabsichtigt ist: Sei es durch schlichte Schusseligkeit, sei es durch Böswilligkeit, wenn sich eine Beziehung im Unfrieden auflöst und ein wütender Partner dem oder der Verflossenen bewusst schaden will.

Why Amateur Porn Will Never Be Safe schildert ein reales Worst-Case-Szenario, das ganz ohne BDSM und Bondage für die Betroffene existenzbedrohend wurde. Deshalb, auch wenn es zunächst keine große Sache zu sein scheint: Überlegt genau, was Ihr tut, nicht nur als die Abgebildeten, sondern auch als diejenigen, die etwas öffentlich machen.