Sonntag, 14. Oktober 2007

Warum BDSM und Bondage?

Ich bin gerade auf einen schon älteren Artikel in „Psychology Today“ aufmerksam geworden: In The Pleasure of Pain verspricht Marianne Apostolides im Untertitel „Find out why one in 10 of us is into S&M“. Der Text beleuchtet aus fachlicher Sicht einige Punkte, die ich unter Aspekte von Bondage zusammengetragen habe.

Apostolides geht von den Ergebnissen einer Umfrage aus, die Charles Moser, Ph.D., M.D., vom Institute for Advanced Study of Human Sexuality in San Francisco durchführte, um der Motivation für BDSM auf den Grund zu gehen. Demnach haben zehn Prozent der Befragten mit SM und Bondage zumindest experimentiert.

Für viele ist dies eine Möglichkeit, loslassen zu können, sich fallen zu lassen, eben zu fliegen: „Manche Leute müssen gefesselt werden, um frei zu sein“, beschreibt es einer der Umfrageteilnehmer. Die entscheidende Komponente ist dabei nicht der Schmerz oder die Bondage an sich, sondern das Wissen, dass eine Person die absolute Kontrolle über eine andere hat.

Dem Artikel zufolge mischen sich therapeutische Aspekte mit einem sexuellen Verstärkereffekt. Der Sozialpsychologe Roy Baumeister, der sich auf die Untersuchung von Selbst und Identität spezialisiert hat, betont, dass BDSM weit mehr als traditioneller Sex den Abbau aufgestauter sexueller und emotionaler Energie erlaubt, selbst wenn Sex bei einer Session gar nicht im Mittelpunkt steht: „Eine gute Session endet nicht mit einem Orgasmus, sondern einer Katharsis.“

BDSM ist ein Weg, den Zwängen des Alltags und dem damit verbundenen Stress zu entkommen. BDSM-immanente Regeln und Rituale schaffen dabei einen beruhigenden, festen Rahmen. Innerhalb dieses Rahmens können die Teilnehmer eines Spiels Gefühlen und Handlungen freien Lauf lassen, die sie sonst nicht ausleben können.

Apostolis unterscheidet deutlich zwischen pathologischem Sadismus und BDSM: „Letzten Endes sind die Bestandteile eines guten BDSM-Spiels – Kommunikation, Respekt und Vertrauen – die gleichen wie bei gutem traditionellen Sex. Das Ergebnis ist dasselbe, ein Gefühl der Verbundenheit zu Körper und Selbst.“ Baumeister rät, den therapeutischen Aspekt nicht überzubewerten: „Nach psychologischen Begrifflichkeiten lässt BDSM es einem nicht besser gehen, und es lässt es einem nicht schlechter gehen.“

Detail am Rande: In den USA ist BDSM seit den 1980ern nicht mehr als psychische Störung eingestuft; allerdings ist es im ICD-10, der internationalen Klassifikation von Krankheiten, immer noch explizit als solche aufgeführt.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Eine kleine Anmerkung:
Auch im aktuellen amerikanischen Klassifikationssystem für psychische Störungen (DSM-IV) werden Masochismus, Sadismus, Fetischismus u.a. aufgeführt. Als Störung werden diese (ich sage mal) „Vorlieben“ erst angesehen, wenn sie für den Betroffenen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen. Der Leidensdruck ist also das Entscheidende. Es muss sich also niemand als „psychisch gestört“ abgestempelt fühlen, der mir Freude und Genuss seine sexuellen Interessen auslebt und verwirklicht (solange keiner drunter leidet, versteht sich).
Auch im deutschen Klassifikationssystem (ICD-10) gelten der Leidensdruck und teilweise auch, ob jemand ausschließlich durch eine bestimmte Praktik/einen bestimmten Gegenstand sexuelle Erregung erfährt, als Grundlagen für die Diagnose einer psychischen Störung.
LG Lara

The Jester hat gesagt…

Ah, hab mal genauer nachgeguckt: Die fraglichen Stellen im revidierten DSM-IV lauten für Sadismus „has acted on these urges with a non-consenting person“ und für die übrigen Paraphilien „the urges, sexual fantasies, or behaviors cause marked distress or interpersonal difficulty“. Der ICD-10-Schlüssel F65 redet ganz allgemein von „Störungen der Sexualpräferenz“ mit F65.5 für Sadomasochismus.

Anonym hat gesagt…

Ja richtig, man muss da genau unterscheiden zwischen den einzelnen Störungen. Für Sadismus gibt es die Ergänzung mit dem nicht-einverstandenen Gegenüber, wohingegen bei Voyeurismus, Frottismus und Exhibitionismus davon ausgegangen wird, dass allein das Ausleben schon Störungswert hat, weil es andere belästigt. Dabei werden aber die vielfältigen Möglichkeiten außer acht gelassen, die SM-Clubs und einschlägige Veranstaltungen bieten, diese Vorlieben so auszuleben, dass sie keinen belästigen oder sogar Anklang finden. Man darf also gespannt sein, wie diese Vielfältigkeit im neuen DSM-V gelöst wird. Es sind ja auch alles nur Beschreibungen, die den aktuellen Stand der Forschung wieder geben sollen, und keine absolutistischen Festlegungen.
Lediglich bei der Pädophilie dürfte es keine Ausnahme von der Regel geben, dass ein Ausleben dieser Neigung definitiv dem Gegenüber schadet. Ich beziehe mich dabei hauptsächlich auf praktisches Ausleben, aber auch jeder Gebrauch von Bildern und Videos pädophilen Inhaltes schließt ja im Endeffekt einen Schaden an einem Kind mit ein. Deswegen sind anonym gestaltete Hilfsprojekte wie an der Berliner Charité außerordentlich zu befürworten.
Die allgemeinen Aussagen des ICD findet man in der Online-Version. Nimmt man aber die gedruckte Variante zur Hand, findet man die Ein- und Ausschlusskriterien, die ich erwähnte. Da steht über die Störungen der Sexualpräferenz, dass „über einen längeren Zeitraum (>6Monate) ungewöhnliche sexuell erregende Phantasien, sexuell dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen auftreten, die sich 1. auf ungewöhnliche nichtmenschliche Objekte, 2. auf Leiden oder Demütigung von sich selbst oder anderen Menschen oder 3. auf Kinder oder andere Personen beziehen, die nicht einwilligungsfähig oder -willig sind. Diese Phantasien, Bedürfnisse oder Verhaltensweisen verursachen in unterschiedlichen Funktionsbereichen Leiden und Beeinträchtigung bei den Betroffenen oder ihren Objekten.“
Zusätzlich steht noch beim Sadomasochismus, dass gering ausgeprägte sadomasochistische Stimulationen zur Steigerung einer im Übrigen normalen Sexualität häufig vorkommen. (Wie man nun wieder normal definiert, sei dahin gestellt.) Außerdem solle die Kategorisierung nur angewendet werden, wenn zudem die sadomasochistischen Betätigungen die hauptsächliche Quelle der Erregung oder für die sexuelle Befriedigung unerlässlich sind.