Donnerstag, 3. April 2014

Neues vom Kindernet und andere Ärgernisse

Die Angriffe auf die Freiheit des Netzes gehen weltweit weiter. Die vorgeschobenen Begründungen wechseln, die Ziele dahinter bleiben gleich: Unterdrücken missliebiger Meinungen und flächendeckende Überwachung – natürlich nur zu unserem Besten.

Eine Variante davon ist das Kindernet, das prophylaktisch alles wegfiltert, was womöglich nicht kindgerecht sein könnte – auch wenn der Inhalt sich nicht an Kinder richtet und die als schutzwürdig ins Auge gefassten Kinder ohne elterliche Aufsicht ohnehin nicht ins Internet sollten. Soziale Probleme lassen sich nun einmal nicht mit Technik lösen.

England greift dabei besonders tief in die Mottenkiste: Der Parlamentsausschuss für Kultur, Medien und Sport hat vorgeschlagen, Online-Inhalte auf Basis des Obscene Publications Act von 1959 zu filtern – des Gesetzes, mit dem vergeblich versucht worden war, die Veröffentlichung von „Lady Chatterley’s Lover“ zu verhindern. In Deutschland ist es die aktuelle Novelle des Jugendschutzgesetzes, die schon einmal abgelehnte Vorschläge wieder aufwärmt, ergänzt mit neuen Verschärfungen wie Altersfreigaben für Soziale Medien, die auch Betreiber von Foren und Blogs in die Haftung nehmen sollen. Da kleine Anbieter die vorgeschlagenen Anforderungen kaum erfüllen können, dürfte der einzige Weg sein, alles „ab 18“ zu kennzeichnen und sich aus dem deutschen Teil des Internets weitgehend zu verabschieden. Die Meinungen unter Juristen zur JMStV-Novelle reichen von „unausgegorene Vorschläge“ bis „schlimmer geht’s nimmer“.

Man kann es natürlich auch einfach wie die Türkei machen und unter lautem „Notstand“- und „Gefahr im Verzug“-Geschrei erst Twitter und dann Youtube und Facebook blockieren, egal wie die Gesetzeslage lautet. Die Menschenrechtskonvention kann man ja ohnehin ignorieren. Das Interessante daran ist, dass das Nicht-EU-Mitglied Türkei modellhaft eine umfassende Sperr- und Zensur-Infrastruktur einschließlich Deep Packet Inspection errichtet, von der so mancher EU-Staat träumt.

Auch wenn die Meldung, dass Google dem britischen Innenministerium erweiterte Sperrrechte für Youtube zugesteht, auf einem Missverständnis beruht: Es ist angesichts der Enthüllungen der vergangenen Monate nicht erstaunlich. dass praktisch jeder sie für völlig plausibel hielt. Dazu passt, dass Buzzfeed zum 1. April eine Liste mit zehn unglaublichen Spionage-Enthüllungen veröffentlicht hat – und nur eine davon war ein Aprilscherz.

In Australien will dafür das Justizministerium Datenverschlüsselung auf kaltem Weg aushebeln. Und während nicht nur in den USA die großen Online-Konzerne verkünden, ihre Dienste gegen staatliche Lauscher abzusichern, weist Sicherheitsexperte Bruce Schneier darauf hin, dass sich trotz dieser Beteuerungen an der „Public/Private Surveillance Partnership“ zwischen Unternehmen und staatlichen Stellen nichts ändern wird:

„Google’s recent actions, and similar actions of many Internet companies, will definitely improve its users’ security against surreptitious government collection programs – both the NSA’s and other governments’ – but their assurances deliberately ignores the massive security vulnerability built into its services by design. Google, and by extension, the U.S. government, still has access to your communications on Google’s servers.

Google could change that. It could encrypt your e-mail so only you could decrypt and read it. It could provide for secure voice and video so no one outside the conversations could eavesdrop.

It doesn’t. And neither does Microsoft, Facebook, Yahoo, Apple, or any of the others.

Why not? They don’t partly because they want to keep the ability to eavesdrop on your conversations. Surveillance is still the business model of the Internet, and every one of those companies wants access to your communications and your metadata. Your private thoughts and conversations are the product they sell to their customers. We also have learned that they read your e-mail for their own internal investigations.“

Es gibt also gute Gründe, gegen Vorratsdatenspeicherung in ihren unterschiedlichen Ausprägungen vorzugehen. Wie Forscher der Universität Stanford anhand von Telefon-Verbindungsdaten gezeigt haben, verraten alleine die „harmlosen“ Metadaten schon extrem viel über individuelle Vorlieben und Beziehungen und sind damit entgegen der öffentlichen Wahrnehmung extrem sensible Daten.

Und manchmal kommt die Überwachung durch die Hintertür. Insofern wäre es tatsächlich höchst riskant, sollte der Vorschlag umgesetzt werden, für das einfachere Übertragen verschlüsselter Daten „vertrauenswürdige Proxy-Server“ auf technischem Weg zu definieren. Lauren Weinstein sagt zurecht: „What they propose for the new HTTP/2.0 protocol is nothing short of officially sanctioned snooping.“

Ramez Naam ist dennoch zuversichtlich, dass wir es schaffen, die Dystopie eines umfassenden Überwachungsstaates zu verhindern.

Keine Kommentare: