Montag, 9. Januar 2012

Sicher ist sicher

Im vergangenen Jahr sorgte der tödliche Ausgang einer Bondage-Session für erhebliches Aufsehen. Dieses Ereignis zeigte wieder einmal, dass BDSM und Bondage grundsätzlich riskante Beschäftigungen sind, und auch die Wahrheit des Ausspruchs „More experienced people than you have died“: Egal, ob man Experte oder zumindest auf gutem Weg dorthin ist, und egal, wie viel man geübt hat – es kann immer etwas passieren.

Wer schon einen gewissen Erfahrungsschatz besitzt, verfällt nur zu leicht in eine Routine, bei der zu große Selbstsicherheit zu Nachlässigkeiten führt. Man weiß ja, was man tut, hat es schon zigmal gemacht, weiß, dass noch nie etwas passiert ist, also kann man bei den Sicherheitsvorkehrungen auch einmal fünfe gerade sein lassen. Diese Einstellung kann allerdings fatale Folgen haben, unabhängig davon, ob man mit der Kettensäge im Wald hantiert oder mit Seilen an einer vertrauensvollen Begünstigten. Ebenfalls eine Rolle spielt eine Form des Dunning-Kruger-Effekts – man kann als Einsteiger vielfach gar nicht wissen, was alles schief gehen kann; und angesichts der Vielfalt der möglichen Spielarten ist man aktiv wie passiv irgendwo immer Einsteiger.

Beim eingangs genannten Fall kam hinzu, dass die Beteiligten alles andere als nüchtern waren. Bei einer Session erhöht jede Art von Drogen das Risiko eines unschönen Verlaufs mit eventuell tödlichem Ausgang, und das auf mehr als eine Weise. Für die Einstimmung in einen romantischen Abend (und nein, Romantik und BDSM sind kein Widerspruch) kann der Wein zum Essen dazu gehören. Andere Stimulanzien wie die durch ihre entspannende und gefäßerweiternde Wirkung beliebten Poppers oder Lokalanästhetika, die manche extremere Spielart erst erträglich machen, fallen ebenfalls in diese Kategorie, aber auch Medikamente durch ihre möglichen Wechsel- und Nebenwirkungen.

Enthemmung, verringertes Steuerungsvermögen, reduzierte Aufmerksamkeit und langsamere Reflexe lassen selbst bei aufeinander eingespielten Partnern die Gefahr steigen. Ein gedämpftes Schmerzempfinden kann dazu verführen, sich in der Euphorie des Spiels Dauerschäden einzuhandeln. Daneben treten weitere Probleme, etwa dass ein Stimulans zu Schock oder Herzrasen führt, dass zu viel Alkohol den Top zu müde macht, auf sein Gegenüber aufzupassen, oder dass einer angeschickerten Begünstigten auf einmal übel wird: Letzteres ist im Normalfall allenfalls peinlich, wird jedoch lebensgefährlich, wenn ein Knebel im Spiel ist.

Natürlich ist es einfach zu sagen, dass eine einschlägige Session nur nüchtern ablaufen sollte. Doch wie beim Alkohol am Steuer ist die Realität eine andere. Alle Beteiligten sollten überlegen, welches Risiko sie bereit sind einzugehen, sowohl für sich als auch für ihre Partner.

Auch unabhängig von solchen Störeinflüssen gibt es genügend Wege, sich und anderen zu schaden. Wer BDSM und Bondage betreiben will, muss um die damit einhergehenden Gefahren wissen und getreu der Pfadfindermaxime allzeit bereit sein, Notfallmaßnahmen zu ergreifen. Das schließt beim Thema Fesslung ein, dass man Problemstellen des Körpers kennt, an denen Nervenschäden oder Zirkulationsprobleme drohen, aber auch, dass man ein Messer in Reichweite hat und sich nicht scheut, es zu benutzen. Bei einem befreundeten Paar gab es einmal so eine Situation: Die Begünstigte stand wohlverschnürt an einem Pfosten fixiert, als sie ohnmächtig wurde. Ihr Partner fing nun nicht an, die Seile aufzudröseln, sondern befreite sie mit einem langen Schnitt aus ihrer Position, auch wenn er dabei gute hundert Meter Seil in unbrauchbare Stückchen zerlegte – Seil ist ersetzbar.

Bei Schlagwerkzeugen ist es unabdingbar, die Gefahrenpunkte zu kennen, die nicht getroffen werden dürfen. Der Anwender muss mit Rohrstock, Gerte oder Flogger umgehen können, das anvisierte Ziel treffen und auch wissen, wann er aufhören muss, selbst wenn sein Gegenüber noch mehr will. Wer lieber mit Wachs spielen will, muss wissen, welchen Einfluss Wachsart und Zusatzstoffe, Tropfhöhen oder Mengen haben, damit es beim anregenden Reiz bleibt, statt Verbrennungen zu verursachen.

Die Basisregeln für Bondage sind überschaubar: Achte als Rigger darauf, dass Arme und Beine Deiner Begünstigten nicht kalt werden oder blau anlaufen. Lass sie immer wieder selbst demonstrieren, dass sie noch Gefühl in ihren Gliedmaßen haben und sie bewegen können. Eine gute Bondage muss nicht gnadenlos festgezurrt sein, um zu halten, und eingeschlafene Finger oder taube Füße sind einer anregenden Session eher abträglich. Sei mit Seilen in Halsnähe besonders vorsichtig. Sie müssen gar nicht die Luft abschnüren, schon Druck auf die Halsschlagadern kann zur Bewusstlosigkeit führen. Knebel beeinträchtigen nicht nur das Sprachvermögen und damit die Kommunikation während einer Session, sondern auch die Atmung und können, wie erwähnt, bei Übelkeit fatal sein.

Das erzwungene Verharren in einer Position kann sich auf den Kreislauf auswirken und besonders bei Bondage im Stehen oder mit über den Kopf gefesselten Armen einen Schwächeanfall oder Bewusstlosigkeit verursachen. Sei Dir nicht nur dieses Risikos grundsätzlich bewusst, sondern sorge dafür, dass Du Dein Gegenüber schnell, sicher und problemlos aus dieser Lage und in die Horizontale bringen kannst. Wenn Du Begünstigte irgendwo festbindest: Achte darauf, dass der Ankerpunkt stabil ist und bei Befreiungsversuchen oder allfälligem Herumzappeln nicht nachgibt und nicht zusammenbricht, mitsamt befestigter Begünstigter umfällt und dergleichen. Denke auch immer daran, dass jemand, den Du gefesselt hast, hilflos und auf Dich angewiesen ist. Es ist das eine, für Kopfkino und Atmosphäre so zu tun, jemanden alleine zu lassen. Aber es ist etwas anderes, wirklich die Wohnung zu verlassen, in der Dein Partner festgebunden ist.

Verantwortung und Vertrauen

Ebenfalls zum Thema Session-Sicherheit gehören Verantwortung und Vertrauen. Das „alles kann, nichts muss“, dass längst schon Eingang in Mainstream-Kontaktanzeigen gefunden hat, ist irreführend: Weil eben nicht alles kann, jeder hat seine individuellen Grenzen. Deshalb ist es für Top und Bottom schon im Vorfeld wichtig, Warnsignale zu erkennen und sich auch auf das eigene Bauchgefühl zu verlassen. Ein Absturz muss nicht sein, Verletzungen und Dauerschäden erst recht nicht. Vor, während und nach einer Session ist Kommunikation – verbal und nonverbal – wichtig. Dies gilt erst recht, wenn man mit seinem Partner noch nicht so vertraut ist; etwas, was bei diesem Lebensstil häufiger vorkommt, weil viele auf der Suche nach Mr. oder Mrs. Right sind, (noch) keinen festen Partner haben und in der Zwischenzeit herumprobieren. Dazu gehört auch, sich nicht zu Dingen drängen zu lassen, die man nicht will, schon gar nicht mit dem Hinweis, das müsse so sein.

Für alle Beteiligten gilt gerade beim Erkunden neuer Gebiete: Macht Euch kundig, hört Euch auch um, wie der prospektive Partner drauf ist. Ein Dom, der ein Safeword ignoriert, ist für körperliche Unversehrtheit, Nervenkostüm und den eigenen Ruf genauso schädlich wie ein Sub, der nach der Session „Körperverletzung“ schreit oder Anzeige wegen Vergewaltigung erstattet. Safeword, Covern oder ein Kontrollanruf sichern nur zu einem gewissen Grad ab. Wenn es hart auf hart kommt, ist man allein. Stellt Euch deshalb die Frage: Wollt Ihr diesem Partner oder Spielgefährten so weit vertrauen, wie es bei einer Session der Fall ist?

Dementsprechend haben bei diesem Tanz, für den „Spielen“ oft eine verharmlosende Bezeichnung ist, beide Seiten gewisse Pflichten. Top/Dom trägt die Verantwortung für das Wohlergehen von Bottom/Sub, im Guten wie im Bösen. Er bzw. sie muss sich darum kümmern, dass es innerhalb der vereinbarten Grenzen spannend und unterhaltsam genug zu beiderseitigem Amusement wird, ohne zu kippen. Umgekehrt muss Bottom/Sub rechtzeitig Bescheid geben, bevor es zu heftig wird – und bestimmte Grenzen, negative Trigger oder eventuelle Traumata vorab und klar kommunizieren. Hinzu kommen für beide Seiten die Sicherheitsmaßnahmen, die auch jenseits eines BDSM-Kontextes in Zeiten von AIDS und anderen unangenehmen Dingen gelten, inklusive des Selbstschutzes bei Blind Dates.

An der Grenze

Ein besonderes Thema sind die physisch und psychologisch riskanteren Spielarten, die unter „Edge Play“ laufen. Sie spielen sich an der Grenze der eigenen Grenzen ab, aber aber auch an der von Sicherheit und SSC – und wirken (und reizen) gerade deswegen so stark. Das Problem ist hier nicht nur, dass im Fall der Fälle bei Schmerzensgeldforderungen die Haftpflichtversicherung nicht zahlt. Wenn es wirklich gefährlich wird, an und über Grenzen geht, muss der aktive Partner sich im Klaren sein, welche Verantwortung er trägt, und bereit sein, die Konsequenzen zu tragen für das, was er riskiert, und ebenso erkennen, wann es Zeit ist abzubrechen, für das Wohl des Gegenübers wie für das eigene. Umgekehrt muss sich Sub/Bottom sowohl des eigenen Risikos bewusst sein wie der Last, die er oder sie dem Spielpartner aufbürdet. Nicht ohne Grund sind tiefes gegenseitiges Vertrauen und idealerweise lange Bekanntschaft, besser noch Freundschaft bzw. Partnerschaft gute Voraussetzungen, wenn man sich in diese tiefen Gewässer wagt.

„Edge Play“ besitzt viele Ausprägungen. Gängige Beispiele sind Vergewaltigungsszenarien, das Spiel mit Einsatz von Klingen, Nadeln oder Strom oder Atemkontrolle. „Rape Play“ ist in dieser Hinsicht geradezu prototypisch: Bei einer Vergewaltigung geht es primär nicht um Sex, sondern um Macht, und wohl keine Frau und kein Mann wünschen sich, das Opfer einer echten Vergewaltigung zu werden. Gleichzeitig gehört ein solches Szenario mit zu den häufigsten sexuellen Fantasien überhaupt, bis weit in jene Kreise, die jegliche BDSM-Affinität entrüstet von sich weisen würden. Der entscheidende Unterschied: Bei Rape Play geht es um das „So tun als ob“. Das „Opfer“ kann sich der Fantasie hingeben, überwältigt und benutzt zu werden und all das erdulden zu müssen, was es sich vorstellt. Gleichzeitig kann es sich sicher sein, dass sich alles im vereinbarten Rahmen abspielt, bei aller Theatralik keine echte Gefahr besteht, und sich das Szenario jederzeit abbrechen lässt. Allerdings kann die Umsetzung einer solchen Fantasie allein durch ihre Intensität ins Negative kippen und auch einen Absturz auslösen. Durch die implizierte Aufforderung zur Gegenwehr gehört Rape Play auch zu den verletzungsträchtigeren Varianten des Rollenspiels.

Weitere Gefahren bei Edge Play sind das Triggern bestehender Phobien, aber auch das oft unterschätzte Risiko von Dauerschäden, sei es durch die Bildung von Narbengewebe bei heftigeren Spielarten von Hauen, Stechen und Schneiden, sei es durch die Gefahr von Infektionen. Gerade wer von den Möglichkeiten scharfer Klingen fasziniert ist, sollte bedenken, dass es bei einer Session nicht immer nötig ist, tatsächlich Blut zu ziehen. Mit einer Augenbinde und dem Aufbau der richtigen Atmosphäre kann selbst ein Lineal oder eine Bleistiftspitze wie ein Messer wirken.

Mit zum Thema Session-Sicherheit gehören auch Auswahl und Pflege des eingesetzten Spielzeugs. Es sollte sich von selbst verstehen, dass man etwa für Bondagezwecke keine Blechschellchen einsetzt und auch keine Materialien, die sich so zuziehen, dass Knoten nicht mehr aufgehen. Je nach Einsatzart sollten alle Gerätschaften nach dem Spiel gewaschen oder desinfiziert werden. Was für den einmaligen Gebrauch gedacht ist, sollte auch nicht wiederverwendet, sondern sachgerecht entsorgt werden. Und selbst das beste Material will mit Verstand eingesetzt werden. Zudem sollte man nie vergessen, dass Murphy immer im Hintergrund lauert. Ein Notfallkit mit Schneidwerkzeugen, Ersatzschlüsseln, Erste-Hilfe-Ausstattung, Taschenlampe etc. und mehrfacher Redundanz ist grundsätzlich keine schlechte Idee, egal ob man in den eigenen vier Wänden oder im Party-Dungeon spielt.

1 Kommentar:

Domenique von Sternenberg hat gesagt…

Ganz herzlichen Dank für diesen ausführlichen und guten Beitrag über die Sicherheit beim BDSM-"Spiel".

Ich selbst schätze mich in der glücklichen Lage, dass ich in den vielen Jahren meiner BDSM-Tätigkeit keine bleibenden Schäden verursacht habe.

Herzliche Grüsse & ein gutes 2012
Domenique