Donnerstag, 6. Oktober 2011

Eine Session, ein Todesfall und aufgeregte Medien

Schon in der ersten Septemberhälfte war in einem Forum, in dem ich unterwegs bin, eine Bondage-Session mit tödlichem Ausgang Thema. Derzeit zieht der Fall etwas größere Kreise, deshalb auch hier ein paar Anmerkungen dazu. Auslöser des Forenthreads war eine Meldung vom 10.09.2011 bei welt.de: „‚Shibari‘ – Italienerin stirbt bei erotischer Fesselung“. Das typisch unpassende Symbolbild (Seil und Haut drauf? Reicht …) gibt schon einen Vorgeschmack darauf, was den kundigen Leser erwartet.

Wie gehabt wird hier auf Krawall gebürstete Ahnungslosigkeit serviert: „Extremfesselung“, „starkes Abschnüren mit Seilen“, dazu David Carradine als Bonus-Leiche. Die zu diesem Zeitpunkt dünne Faktenlage wird statt mit Recherche mit Wikipedia-Wiederkäuen, empörtem Geraune und demonstrativ skandalisierenden Anführungszeichen aufgepolstert. Immerhin weist der kurze Artikel in einem Satz darauf hin, dass der Rigger und seine beiden Partnerinnen alles andere als nüchtern waren, als sie loslegten.

Gerade dieser Punkt ließ mich schon in der ersten Diskussion Parallelen zu den typischen Wochenend-Disco-Unfällen ziehen: Ob jemand zu einem rotzbesoffenen Fahranfänger ins Auge steigt, der seinen Breiter-Tiefer-Lauter-Golf mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit um einen Baum wickelt oder in den Gegenverkehr schießt, oder ob jemand nach ausgiebigem Alkohol- und Drogenkonsum aller Beteiligten andere grundsätzlich gefährliche Aktivitäten ausübt, bleibt sich prinzipiell gleich. Da sind SSC und RACK schon lange kein Thema mehr, da geht es um grundsätzliches Urteilsvermögen und dessen Trübung. Damit sind die eigentlichen Unfall- und Todesursachen nicht unbedingt szene-spezifisch für BDSM, Bondage etc., sondern haben eher mit jugendlicher Unbekümmertheit, dem Glauben an die eigene Unsterblichkeit und auf Seiten des Riggers mit zuviel Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu tun – und vor allem mit dem eingeschränktem Steuerungsvermögen durch bewusstseinsverändernde Substanzen jeglicher Art.

Bei den Medien, für die welt.de nur ein Beispiel ist, ist jedoch die künstliche Aufgeregheit über die „Perversen“ viel wichtiger als diese Tatsache. Zur medialen Rezeption des Vorfalls hat Thomas Roche bei violet blue unter dem Titel Shibari, »Extreme Sex,“ and Anti-Sex Prejudice einen umfangreichen Artikel geschrieben.

Sein mit ausführlichen Beispielen belegtes Fazit: Ob in Italien oder den USA, die Medien gruseln sich lautstark vor den sich gegenseitig fesselnden und schlagenden Typen (eh’ alles potenzielle Kinderschänder, wie so mancher Artikel impliziert …) und meist auch gleich vor sämtlichen vom sexuellen Mainstream abweichenden Spielarten (da werden dann Statistiken passend zum Artikel-Tenor zurechtgebogen). Dafür unterschlagen sie weitgehend, dass da drei Leute erst massiv gebechert und gekifft und dann jegliche Sicherheitsmaßnahmen bei einem riskanten Vorhaben unterlassen haben.

Ich merke gerade: Zum Thema Sicherheit bei einer Session ist mal wieder ein Artikel fällig.

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