Montag, 6. September 2010

Kaum ein Unterschied

Heute bin ich auf Ewelin Wawrzyniaks Diplomarbeit „Ist das Persönlichkeitskonstrukt ‚Experience Seeking‘ bei Sadomasochisten stärker ausgeprägt als bei Nicht-Sadomasochisten?“ gestoßen. Wawrzyniak, die im Übrigen auch aus gegebenem Anlass die gängigen BDSM-Klischees der Massenmedien nachhaltig abgewatscht hat, hat mit Hilfe eines umfangreichen Fragebogens untersucht, ob es in Sachen Offenheit für Erfahrungen signifikante Unterschiede zwischen Vanillas und BDSMern gibt, solange sich letzere im SSC-/RACK-Rahmen bewegen. Demnach sind „wir“ – angesichts der Vielfalt der Szene scheinen mir die Anführungszeichen angebracht – recht normal.

In Kürze, sofern ich das richtig gelesen habe: Sadisten sind der Arbeit zufolge beim Experience-Seeking relativ dicht am Vanilla-Level, Switcher und Masochisten dagegen suchen häufiger und/oder stärkere Erfahrungen. Zudem neigen Switcher signifikant häufiger zu einem ängstlich-ambivalenten Bindungsstil. Wie erwartet, haben Menschen, die stärker nach Erfahrungen hungern, eine höhere Zahl an Sexualpartnern und testen mehr Praktiken und Zusatzelemente beim Sex aus – starke, unvorhersehbare und neuartige Reize sind ja konstitutive Merkmale von BDSM-Spielen und -Sessions. Und die damit einher gehende Reduktion der Selbstaufmerksamkeit passt ja zum Loslassen und Fliegen, das für viele Anhänger den Reiz des Ganzen ausmacht.

Allerdings lautet eine weitere Erkenntnis:

„Personen, die sich sehr sicher sind, was Liebe ist, weisen mehr sexuelle Zusatzelemente auf als die liebesunsicheren Personen, jedoch weniger als die mittelmäßig liebessicheren Personen.“
Insgesamt scheinen der Auswertung zufolge BDSMer etwas extrovertierter zu sein als Vanillas. Der Neurotizismus ist bei Sadisten ebenso wie die Verträglichkeit am niedrigsten unter den drei betrachteten BDSMer-Typen, während Vanillas das andere Extrem bilden. In Sachen Gewissenhaftigkeit nimmt sich dagegen keine der Gruppen etwas.

Hinsichtlich der Extraversion konstatiert Wawrzyniak einen gewissen selbstverstärkenden Effekt bei Personen, die in der Szene aktiv sind, also auch ihr inneres Outing hinter sich gebracht haben und auf Gleichgesinnte und Gleichgestimmte treffen. Dass dabei die Sadisten am stärksten vom Vanilla-Level abweichen, führt sie auf deren Rolle im sadomasochistischen Kontext zurück – diese müssen energisch auftreten und die Führungsrolle im Spiel ausfüllen.

Niedriger Neurotizismus-Wert und sadistische Rolle sind für die Autorin eng verknüpft: Die hohe Verantwortung innerhalb einer Session erfordert eine starke Kontrolle der eigenen Gefühle, zugleich lässt sich aus der Kontrolle sowohl der eigenen Gefühle wie der Gefühle des Gegenübers Genuss ziehen. Die Kehrseite der Medaille ist der niedrigste Verträglichkeitswert bei Sadisten, Anzeichen für einen im Vergleich zum Durchschnitt kühleren, egozentrischeren, misstrauischeren und wettbewerbsorientierteren Charakter. Switcher befinden sich hinsichtlich dieser Aspekte halbwegs zwischen Sadisten einerseits und Masochisten und Vanillas andererseits.

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