Ich habe ja schon vor längerer Zeit darauf hingewiesen, dass Katzen eine gewisse Affinität zu BDSM haben – nicht nur, wenn es um Bondage geht. Eine neue Studie deutet darauf hin, dass die Katzen sich nicht aufgrund ihres Naturells zu BDSMern hingezogen fühlen oder weil die Seile so ein schönes Spielzeug sind. Stattdessen könnte es umgekehrt sein: Katzen scheinen schuld daran zu sein, dass Menschen zu BDSM neigen, jedenfalls mittelbar: Jaroslav Flegr und Radim Kuba postulieren in The Relation of Toxoplasma Infection and Sexual Attraction to Fear, Danger, Pain, and Submissiveness (Volltext, PDF), dass einschlägige sexuelle Vorlieben durch Toxoplasmose-Erreger ausgelöst werden können, der eigentlich ein Katzenparasit ist, jedoch Menschen als Zwischenwirt nutzt.
Flegr vertritt schon seit Jahren die These, dass eine Reihe von Parasiten das Verhalten von Menschen auf ähnliche Weise beeinflussen wie Leberegel es mit Ameisen tun. Bei Mäusen schaltet der Toxoplasmose-Erreger die Angst vor Katzen aus. Flegr vermutete bereits vor einigen Jahren aufgrund von medizinischen Untersuchungen, psychologischen Tests und Befragungen, dass der Toxoplasmose-Erreger Männer sowohl misstrauischer macht als auch eher gegen gesellschaftliche Regeln verstoßen lässt, während Frauen sich warmherziger und regelkonformer verhalten. Sowohl Männer als auch Frauen litten &ndash, so seine Ergebnisse – häufiger an Schuldgefühlen und Unsicherheit sowie verlangsamten Reaktionen. Dabei deutete einiges drauf hin, dass der Effekt umso stärker ist, je länger die Infektion zurückliegt.
In der neuen Untersuchung nahmen Flegr und Kuba sexuelles Verhalten und sexuelle Vorlieben im Hinblick auf Toxoplasma-Infektionen unter die Lupe. Dabei stellten sie fest, dass sich Träger von Toxoplasma gondii sowohl in ihrem Sexualverhalten als auch in ihren Fantasien und Vorlieben deutlich von Nicht-Infizierten unterscheiden. Die Autoren führen dies auf einen durch den Parasiten bzw. die Immunreaktion auf ihn ausgelösten Dopaminspiegel zurück:
„In agreement with our a priori hypothesis, [Toxoplasma]-infected subjects are more often aroused by their own fear, danger, and sexual submission although they practice more conventional sexual activities than Toxoplasma-free subjects. We suggest that the later changes can be related to a decrease in the personality trait of novelty seeking in infected subjects, which is potentially a side effect of increased concentration of dopamine in their brain.
(…)
The infected subjects expressed a lower tendency toward sexual dominance, tattoo and piercing, watching pornography, group sex, and they are less often engaged in activities that include Bondage, Discipline and Sado-Masochism (BDSM). However, they expressed higher attraction to bondage, violence, zoophilia, fetishism, and, in men, also to masochism, and raping and being raped. Generally, infected subjects expressed higher attraction to nonconventional sexual practices, especially the BDSM-related practices, but they also reported to perform such activities less often than the Toxoplasma-free subjects.“
Flegr weist auf andere Untersuchungen hin, die sich mit den evolutionären Vorzügen abweichenden sexuellen Verhaltens unter spezifischen Umständen befassen. Danach könnte Masochismus bei Frauen nützlich sein, für ihre Nachkommen „gute Gene“ oder ein hinsichtlich der Ressourcen besseres Umfeld zu ergattern, während D/S-Beziehungen Zusammenhalt und Zusammenarbeit zwischen Partnern mit unterschiedlichem Hintergrund verbessern. Flegr und Kuba stellen ihre Hypothese als alternatives Erklärungsmodell dagegen. Sie sehen hier ein „Fatal Attraction“-Phänomen wie bei infizierten Mäusen am Werk.
Um zu überprüfen, ob eine Toxoplasma-Infektion Risikobereitschaft und Abenteuerlust in sexueller Hinsicht erhöhen, befragten die beiden 36.564 Männer und Frauen aus Tschechien und der Slowakei per Online-Fragebogen mit 701 Fragen zu sexuellen Vorlieben ebenso wie zum soziokulturellen Hintergrund und zur Gesundheit. In der Auswertung wurden 350 Variablen berücksichtigt. Daraus ergaben sich 24 Faktoren, die das Sexualverhalten beeinflussen – und bei 18 davon ergab sich ein Zusammenhang zu einer Infektion mit Toxoplasma gondii. Dabei fielen Vorlieben für bzw. Interesse an Sadismus/Dominanz und Bondage markant auf. Flegr betont jedoch, dass eine Infektion insgesamt gesehen nur bereits bestehende Neigungen verstärkt.
„Our study confirmed the existence of specific differences in sexual behavior, desires, and preferences between Toxoplasma-infected and Toxoplasma-free subjects. The character of these changes, that is, the higher attraction to bondage, violence, and, in men, to masochism and raping supports our hypothesis about the coactivation of sex-related and fear-related medial amygdala circuits in humans. It must be stressed that the Toxoplasma infection explains only small part of the variability in BDSM-associated traits.“
Er und Kuba haben auch den Aspekt Novelty Seeking untersucht, der für BDSMer ebenfalls eine Rolle spielt, mal mehr, mal weniger. Das Ergebnis hier: In drei von vier Bereichen liegt bei Infizierten der Novelty-Seeking-Wert unter dem Durchschnitt. Die Träger des Erregers sind reflektierter, fordern detailliertere Informationen, bevor sie sich für oder gegen etwas entscheiden, und lassen sich weniger leicht ablenken. Außerdem sind sie reservierter und kontrollierter und verschwenden weniger Energie und Gefühle. Sie sind stärker organisiert und methodischer und bevorzugen Aktivitäten mit strengen Regeln und Vorgaben – alles Eigenschaften, denen BDSM entgegenkommt.
Die Autoren weisen darauf hin, dass die Umfrage aufgrund des Themas sowie des Umfangs des Fragebogens und der dafür benötigten Zeit vermutlich vor allem Teilnehmer angezogen hat, die entweder ausreichend altruistisch oder aber sehr interessiert an Sex sind. Deshalb seien die Ergebnisse nur begrenzt repräsentativ. Auch bildeten die von den Teilnehmern gegebenen Antworten das Rückgrat der Studie. Allerdings setzten Flegr und Kuba auf einen hohen Wahrheitsgehalt der Antworten, da nur sehr motivierte Teilnehmer den Fragebogen bis zum Schluss ausfüllten.