Samstag, 10. März 2012

Schalldämpfer, oral

Keine Widerrede: Knebel sorgen für Ruhe

Geht es um Bondage und BDSM, spielen Knebel eine wichtige Rolle: Wie bei der Beschränkung von Sehsinn und Gehör geht es zum einen um Machtausübung und Isolation, zum anderen um Fallenlassen und die Aufgabe von Kontrolle. Sowohl für Tops wie für Bottoms ist ein Knebel häufig das I-Tüpfelchen, das eine Bondage erst vollständig macht. Bei härter angelegten Sessions bietet ein Knebel zudem die Möglichkeit für Sub/Bottom, sich gehen zu lassen und zugleich einen Anker, um die Zähne zusammenzubeißen und Zumutungen besser auszuhalten. Ganz pragmatisch schließlich dient ein Knebel der Schalldämmung und erlaubt so heftigere Spiele auch in hellhörigen Wohnungen, ohne die Nachbarn zu verschrecken. Dabei gibt es für jede Vorliebe improvisierte, selbstgebaute und kaufbare Varianten.

Die einzelnen Typen unterscheiden sich nicht nur in der Optik, sondern auch in Wirkung und Tragekomfort. Den Einstieg markiert der „Detective Gag“, so benannt nach seinem überwiegenden Auftauchen in prägenden Krimiserien und Kinofilmen. Der klassische Krimi-Knebel besteht nur aus einem mehr oder weniger fest über die Mundpartie gebundenem Tuch und ist damit allenfalls dekorativ, aber nicht wirkungsvoll. Nicht selten muss die Dame in Bedrängnis beim Agieren aufpassen, dass der Pseudo-Knebel nicht durch eine unvorsichtige Bewegung einfach abfällt. Sprechen ist damit praktisch ohne Einschränkung möglich.

Schon etwas wirkungsvoller ist der „Cleave Gag“, bei dem das zu einem Streifen gerollte oder gefaltete Tuch zwischen die Zähne des/der Begünstigten geschoben wird. Ja nach Festigkeit der Bindung und Dicke des Tuchs lässt sich das Artikulationsvermögen schon recht spürbar beeinträchtigen, vor allem wenn ein dicker Knoten im Tuch oder ein separates, zum Knäuel gerolltes Tuch o. ä. den Mund zusätzlich füllt. Trotz begrenzter Verständlichkeit können Träger von Cleave Gags allerdings immer noch recht laut werden.

Jenseits der klassischen Optik ist ein Stoffknebel nicht jedermanns Geschmack. Zum einen saugt sich der Stoff mit der Zeit mit Speichel voll und verändert so Konsistenz und Tragegefühl, zum anderen können lose Stoffzipfel im Rachen einen Würgereiz auslösen.

Ähnlich beliebt in Film und Fernsehen ist der Tape Gag, also ein Knebel aus Klebeband. Haftkraft und Wirksamkeit hängen hier nicht nur von Art und Menge des gewählten Materials ab. Glätte der Haut, Schweißentwicklung oder Kosmetik haben ebenfalls erheblichen Einfluss. Auch hier gibt es die Deko-Variante in Form eines minimalistisch über die Lippen drapierten Klebebandstückchens, ebenso aber auch sehr wirkungsvolle Ausführungen.

Die effektiveren Vertreter ihrer Art entfernen allerdings beim Abziehen unter Umständen Haarwuchs auf den von ihnen bedeckten Flächen. Wer davon dann noch keine Hautreizung hat, hat die nächste Chance beim Entfernen hartnäckiger Klebstoffreste mit unterschiedlichen Lösungsmitteln. Geringer ist das Risiko, wenn man sich das Knebelmaterial nicht im Baumarkt, sondern im Sanitätsfachhandel besorgt – und auch da ist der Unterschied etwa zwischen Leukosilk und Leukoplast in mehr als einer Hinsicht spürbar.

Geradezu das BDSM-Klischee ist der – bevorzugt rote – Ballknebel. Auch in guter Qualität erschwinglich, relativ pflegeleicht und einigermaßen narrensicher in der Anwendung (no pun intended), dürfte er wohl zu den verbreitetsten Spielzeugen von Bondagern und BDSMern gehören. Wichtig ist es hier, die Ballgröße auf Mundvolumen und -größe des bzw. der Begünstigten abzustimmen. Zu klein ist wirkungslos, zu groß sorgt schneller als nötig für Schmerzen und Muskelkater. Ein gut passender Ballknebel kann dagegen erstaunlich effektiv sein.

Beim klassischen Design läuft ein Lederriemen mitten durch den Ball. Ein gewisser Nachteil dieser Bauform ist, dass der Riemen bei einem fest zugezogenen Ballknebel in die Mundwinkel der Trägerin einschneidet. Fest sitzen sollte er aber, damit ihn die Begünstigte nicht einfach mit der Zunge aus dem Mund drücken kann. Aufgrund dieser Anforderungen entstanden aus dem selbstbau-freundlichen Basismodell etliche Varianten. Statt ihn einfach durch den Halteriemen zu fädeln, lässt sich etwa der Ball an einer Frontplatte befestigen, was den Tragekomfort deutlich erhöht und zugleich festes Anlegen ermöglicht. Bei Harness Gags erhöhen zusätzliche Riemen die Wahrscheinlichkeit, dass der oder die Begünstigte den Knebel auch solange im Mund behält, wie Top es will, egal ob mit oder ohne Frontplatte.

Die Hauptkomponente eines solchen Knebels muss nicht immer Ballform haben. Die Bandbreite reicht von unterschiedlich geformten Lederkissen bis hin zu anatomisch mehr oder weniger korrekt nachgebildeten Plugs. Weiche Kissenknebel wie auf dem Bild unten links sind auch für Untrainierte länger tragbar, während aufblasbare Knebel vor allem in der Butterfly-Variante alles andere als stressfrei sind, dafür jedoch zu den wirkungsvollsten Knebeltypen gehören. Nicht nur beim Pony Play sind Stangen- und Trensenknebel nützlich, machen Sie Begünstigte doch nicht nur lenkbar, sondern halten auch bissige Subbies im Zaum. Abhängig vom Durchmesser aller beteiligten Elemente bieten Ringknebel besondere Spielmöglichkeiten, können doch Begünstigte damit den Mund nicht schließen. Die Hardcore-Version davon sind Spider Gags, die ihren Namen von den über die Wangen reichenden, an Spinnenbeine erinnernden Metallklauen haben, und aus dem medizinischen Bereich stammende Kiefersperren.

Wesentliches Element eines wirksamen Knebels ist die Mundfüllung: Entgegen gängiger Fantasien ist dabei Lautlosigkeit nicht zu erreichen. Was ein Knebel kann, ist den Resonanzraum der Mundhöhle zu verkleinern und damit die Lautstärke zu verringern sowie die Artikulationsmöglichkeiten beschränken. Beides ist nicht ohne Nebenwirkungen möglich: Ein direktes Risiko ist das Verlegen der Atemwege durch den Knebel, ein indirektes das Auslösen eines Würgereizes oder eines Panikanfalls mit jeweils fatalen Folgen. Besonders der im japanischen Bondagestil häufige „over the nose gag“, bei dem das abschließende Tuch nicht nur die Mundpartie, sondern auch die Nase abdeckt, kann atemtechnisch problematisch werden. Auch wer Knebel gerne in mehreren Schichten aufbaut, sollte daran denken, dass ein Knebel im Notfall dann mit beherztem Werkzeugeinsatz entfernt werden muss.

Weniger offensichtliche Risiken ergeben sich aus dem verwendeten Knebelmaterial. So können etwa von den immer wieder als Knebelbällen zu findenden lackierten Holzkugeln nicht nur Farbsplitter abspringen. Ebenso wie bei ungepolsterten Metallringknebeln kann hier auch das Gebiss in Mitleidenschaft gezogen werden – und eine Zahnbehandlung steht im Normalfall selbst bei erklärten Masochisten nicht sehr weit oben auf der Session-Wunschliste. Andere Materialien sind auch nicht ohne; so hatte ich in meinem Bestand einen Harness Gag, der durch massiv ausgasende Weichmacher des Knebelballes relativ schnell untragbar wurde. Beim Kauf lohnt es sich deshalb, auf Qualität zu achten. In die Kategorie „Geschenkt ist noch zu teuer“ fallen etwa mit den Blechhandschellen mit und ohne Plüschüberzug vergleichbare Billig-Ballknebel, die aus einer Hartplastikkugel und Latexband mit Klettverschluss bestehen.

Etwas abseits von klassischen Knebeln sind andere Möglichkeiten, Stille zu erzwingen. Während Active Noise Cancelling in dieser Hinsicht noch nicht wirklich einsatzbereit ist, spielt mancher in der Szene mit dem Gedanken, Elektroschock-Halsbänder einzusetzen, die eigentlich dazu gedacht sind, Hunden das Bellen abzugewöhnen. Aber da empfiehlt sich dann schon eher der Befehl an Subbie, ein rohes Ei im Mund zu behalten, ohne es zu zerbrechen.

Ein Aspekt vor allem von Ball-, Ring- und Stangenknebeln ist der von ihnen verursachte ungebremste Speichelfluss. „Drooling“ bedeutet für manche zusätzliche Demütigung und entsprechenden Kick, für andere wiederum ist es ein No-Go – hier gilt es nach persönlichen Vorlieben auszuwählen, primär natürlich nach denen des Riggers, Tops oder Doms. *veg*

2 Kommentare:

Domenique v.S. hat gesagt…

Na, das nenn ich doch mal richtig informativ.

Da gibt es nichts mehr Zusätzliches zu sagen, fühle mich beinahe "geknebelt" ;-) .

Ein Dank aus der Schweiz...

Anja Petterson hat gesagt…

Jaja ... das leidliche Knebelthema ;-)
Ich meine, die Wahl und die Wirkung eines Knebels muss natürlich bei jeder/m Sub eine andere sein.
Nicht nur die Größe des Mundes und die Schonung der Mundwinkel in der Bindung, auch das Kopfgefühl des Geknebelten muss die Wahl des Knebels immer wieder neu setzen.
Dafür muss aber auch eine Auswahl an Knebeln vorhanden sein!
Klar gehört für die meisten Tops und Doms ein Knebel zur Session. Das ist (fast schon langweiliger) Standart.
Aber die wenigsten Tops und Doms sind so fantasievoll, an ein Ei zu denken --- oder einfach der/dem Sub den Befehl zu geben, stumm zu sein! Das kann man trainieren. Wenn Sub gerne laut ist und aus sich herauskommen möchte, kann man die Erlaubnis dazu ja als Belohnung nehmen, wenn sie/er es vorher schafft, stumm zu bleiben?

Und ja: Der rote Knebel ist sowas von Klische!