Auf der Party am vergangenen Wochenende lief auch ein interessantes Trio auf: Die Dame von der Frisur bis zu den Schuhen im mit viel Liebe zum Detail gestalteten 40er-Jahre-Look, ihre beiden Begleiter in dunklen Uniformen, deren historische Inspiration erkennbar war, und alle drei spielten ihre Rollen.
Das Setting war klar, die Epoche auch, doch wohlgemerkt: Die beiden Herren trugen letztlich Fantasieuniformen, verziert mit Accessoires unterschiedlichster Epochen und Armeen und eben nicht mit authentischen Hoheits- und Rangabzeichen der Wehrmacht oder gar der SS. Ihr Auftreten entsprach zudem mehr Hollywood-Konventionen denn historischer Genauigkeit, und den ganzen Abend hindurch entstand definitiv nicht der Eindruck, dass da Neonazis eine Party für die Zurschaustellung ihrer Gesinnung nutzten.
Einem anderen Gast war das offensichtlich dennoch zu ungemütlich – er meinte SS-Totenkopfabzeichen auf den Mützen gesehen zu haben und startete im Nachklang der Party einen Beschwerdethread, wo er nachdrücklich auf der Nazis-Raus-Schiene fuhr, auch wenn die Ziele des Zorns gar keine Nazis sind, sondern in seinen Augen so aussahen.
Angesichts des Images, das die BDSM-Szene in der Öffentlichkeit vielfach noch hat, ist es verständlich, dass jemand in Sachen Außenwirkung nicht auch noch mit Massenmördern und deren Helfershelfern in einen Topf geworfen werden will. Wenn aber Godwins Gesetz schon den Ausgangspunkt bildet, ist eine Debatte eher schwer zu führen. Abgesehen davon, dass ein Totenkopf eben nicht zu den verbotenen Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gehört, weil er nicht auf die SS beschränkt war und seine Verwendung als Uniformemblem eine wesentlich längere Geschichte hat: Es kommt auch immer auf den Kontext an.
Würde ich eine Party in einer Südstaaten-Uniform besuchen, dann nicht nur des Schnittes und der bunten Biesen wegen, sondern auch, weil der Subtext „Sklavenhalter“ zum Anlass passt. Und das, obwohl ich Sklaverei als reales Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell nicht für erstrebenswert halte. Jedoch würde ich es reichlich bedenklich finden, wenn ein Arbeitskollege im Alltag mit „Meine Ehre heißt Treue“ auf der Gürtelschnalle oder anderen NS-Devotionalien auflaufen würde.
Aber: Die Party war eine Veranstaltung von Gleichgesinnten für Gleichgesinnte, kein öffentlicher Auftritt. Die Uniformen und Accessoires bewegten sich, soweit ich das sehen konnte, im Rahmen der geltenden Gesetze und der Vorgaben des Veranstalters. Klar ist natürlich, dass im Spiel von B & D, D & S, S & M die Faszination des Bösen eine große Rolle spielt – und was repräsentieren Nazis anderes als das ultimate Böse in schicken Uniformen? Das Böse ist sexy, und nicht erst seit dem Nachtportier ist das auch in der Szene Thema.
Eindrucksvoll hat dieses allgemeine, nicht auf die Szene beschränkte Faszinosum der polnische Konzeptkünstler Piotr Uklanski mit seinem Projekt „Die Nazis“ gezeigt. Getreu seiner Intention, Gegenständen durch neuen Kontext neue Bedeutungen zu verleihen, hat er 1998 164 Fotos von Schauspielern in Nazirollen – von Video-Covern, Filmplakaten und Standfotos – in einem großen Fries zusammengestellt. Dass das Ausstellungsplakat mit Klaus Kinski in SS-Uniform zu einem der meistgestohlenen Museumsplakate wurde, spricht Bände, ebenso die Aufregung, die das Projekt bei seiner Präsentation in mehreren Städten in aller Welt erregte. Der sexuell-fetischistische Aspekt der hollywood-gefilterten Nazis und von Uniformen an sich, den Susan Sontag bereits 1974 beschrieb, springt dem Betrachter bei Uklanski ins Gesicht.
So sind Anklänge an die einschlägige Symbolik in der Szene so verständlich wie umstritten. Darf man mit dem Entsetzen, vor allem mit diesem, Scherz treiben? Charlie Chaplin, Ernst Lubitsch, Mel Brooks und Quentin Tarantino etwa haben diese Frage mit Ja beantwortet. Sie haben freilich die Bösen vom Sockel gestoßen, während das Machtgefälle in einer Session doch eher vom Uniformträger abwärts geht.
Dennoch: In der Szene sollte es mit der Political Correctness nicht zu weit gehen. Eine dunkle Uniformjacke macht noch keine SS-Uniform und ihren Träger nicht zum Nazi. Wer hier prophylaktisch die Zäune zu weit nach draußen setzt, hat bald alle Hände voll zu tun. In Zeiten der Kinderpornohysterie und Gesetzen, die „Scheinjugendlichkeit“ zum Straftatbestand machen, sind etwa die auch auf besagter Party mehrfach vertretenen Schulmädchen im kurzen Rock gleich die nächsten Ziele – nicht dass die Szene sich als Pädophilenhaufen verunglimpfen lassen muss.