Mittwoch, 20. März 2013

Anschwellendes Unbehagen

Das Ende des Google Readers betrifft mich zunächst nicht direkt, für Feeds nutze ich ein anderes Tool. Doch mittelbar und auch aufgrund einiger Begleitumstände wird mir angesichts dieser Nachricht etwas unwohl. Ich habe mich 2007 aus mehreren Gründen dafür entschieden, meine Zelte bei Blogspot aufzuschlagen. Neben der einfachen Bedienung war auch die mögliche Anonymität mit entscheidend dafür, dass ich das Blog hier eingerichtet habe – mit den hier behandelten Themen ist leider nach wie vor das Risiko beruflicher und privater Stigmatisierung verbunden, nicht nur für mich, sondern auch mein Umfeld.

Die Reader-Abschaltung wirkt auf mich wie ein weiterer Anlauf nach dem „Und bist Du nicht willig“-Prinzip, Nutzer zu Google+ zu zwingen, das einfach nicht abheben will. Und Google+ lässt sich nicht anonym nutzen. Und es gibt noch ein weiteres Problem; Michael Schmalenstroer bringt es auf den Punkt:

„Weiterhin stellt sich natürlich für diverse andere Google-Produkte die Frage nach der Zukunft. Feedburner ist ebenfalls schon lange angezählt und wird die nächste Säuberungswelle wohl auch nicht mehr überleben. Wer seine Feeds darüber laufen lässt, sollte sich jetzt langsam Gedanken über eine Exitstrategie machen. Auch als Blogger auf Blogspot würde ich mich nach einer Alternative umsehen bzw. schon mal vorsorglich eine eigene Domain verknüpfen. Indem Google jetzt auch wichtige Kernprodukte killt, erschüttert es auch das Vertrauen in die Langzeitverfügbarkeit seiner Dienste. Buzz, Wave & Co hatten nie eine größere Userzahl, der Reader schon. Was sagt das über Gmail, Drive, Docs, Calendar & Co? Wird Google auch diese Dienste irgendwann killen? Was ist mit Google Books? Wenn die Querelen mit den Verlagen zu groß werden und sich die Bücher im Play Store eh besser verkaufen lassen, wird der Dienst dann auch eingestellt? Die Reader-Einstellung zerstört viel Vertrauen.“

Hinzu kommt das Risiko der Monokultur, dass sich durch die umfassende Verknüpfung früher getrennter Angebote über Google+ noch verschärft. GIGA-Autor Jens Herforth hat den Alptraum jedes Nutzers gerade am eigenen Leib erfahren:

„Nun passiert ausgerechnet mir das Unfassbare: Mein Google Account wurde nicht einfach nur gesperrt, sondern deaktiviert. Das beinhaltet auch gleich alle Dienste, die damit verbunden sind. Google+ und meine verwalteten Seiten, G-Drive, Telefon-Kontakte, Kalender, geteilte Dokumente, Musik, meine bezahlten Apps aus dem Store, Bücher, Musik und eben Filme. Kein Youtube mehr, der Google Reader und sonstige Tools sind einfach nicht mehr aufrufbar. Wenn alles an einem Account hängt, ist man ziemlich abhängig von ihm.“

Bei der Suche nach Hilfe machte er die gleichen Erfahrungen, die Jeffrey Zeldman gerade erlebt hat:

„And Gmail doesn’t care. Because Gmail isn’t real, not even in the David Sleight sense. It’s a set of equations programmed by fallible human beings, and it controls my life and yours.

There is no one to talk to at Google about my service problem because there is no one there. The services I pay for are delivered by robot magic in the cloud. When something goes wrong, it just goes wrong.

( …)

My friend wears a shirt that says ‘The Cloud Is A Lie,’ but that isn’t quite the truth. More like, the cloud is a customer service problem. One I just found myself on the wrong end of.“

Auch wenn ich Marcel Weiß in seiner Einschätzung von Google+ als besserem Nachfolger für andere Google-Dienste aufgrund meiner Vorbehalte gegen den Klarnamenszwang nicht zustimmen kann, hat er meiner Ansicht nach in einem Recht:

„Paradoxerweise wird das Ende des beliebten Google Readers damit zum Win-Win: Nicht nur kommt endlich wieder Bewegung und damit hoffentlich Innovation zurück zu RSS. Sondern nun wird auch den letzten langjährigen Beobachtern klar, dass Google ein relativ normales Unternehmen geworden ist, das außerdem dem Wahn verfallen ist, seine Zukunft läge darin eine Art Frankensteinmonster aus Apple 2.0 und Facebook 2.0 zu werden.“

Ich hänge an diesem Blog an diesem Ort, weil ich mich hier auskenne, Arbeit und Herzblut investiert und mir auch eine gewisse Leserschaft erarbeitet habe. Nach wie vor gilt für mich:

Derzeit sieht es noch so aus, als ob Blogger-/Blogspot-Nutzer sich nicht mit Google+ zwangsbeglücken lassen müssen – noch, denn so etwas kann sich ja schnell ändern. Und dann kann es passieren, dass ich meine Zelte hier abbrechen und an anderer Stelle neu anfangen muss. Auch wenn das bedeutet, hier verbrannte Erde zu hinterlassen, weil Leute, die alten Links auf meine Texte folgen, dann ins Leere laufen.

Die Einschläge kommen näher.

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