Sonntag, 29. Januar 2012

Google, Datenkraken und die Fortsetzung der Nymwars

Als ich vor etwa viereinhalb Jahren beschloss, ein Blog zu starten, habe ich mich bewusst für das Angebot von Blogger entschieden. Ausschlaggebend war neben der schnellen Einrichtung, den vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten und der hohen Flexibilität vor allem die Möglichkeit, anonym, bzw. genauer unter meinem in einschlägigen Kreisen durchaus bekannten Nick, zu schreiben. So konnte ich einerseits Bekannte aus der Szene und an BDSM und Bondage Interessierte erreichen und musste mich andererseits nicht dem Rest der Welt gegenüber outen. Denn auch in der heutigen Zeit können Vorlieben wie meine im beruflichen und privaten Umfeld erhebliche Probleme mit sich bringen, nicht nur für mich selbst, sondern auch für Leute, mit denen ich nähere Kontakte pflege.

Schon damals gehörte Blogger zu Google, was sich im Alltag, etwa in Sachen Stabilität und Performance, eher positiv ausdrückte. Nun hat aber Google neue Nutzungs- und Datenschutzbedingungen verkündet. Auch wenn die altehrwürdige Maxime „Don’t Be Evil“ schon länger mehr Marketing als gelebte Haltung war, geht Google nun einen Weg, der eine Grundlage dieses Blogs gefährdet.

Dabei geht es mir weniger um die Vereinigung der genutzten Dienste. Die grundsätzlichen Probleme einer derartigen Zusammenführung von Daten berühren mich in diesem Zusammenhang nur am Rande, denn ich trenne meine Jester-Persona auch technisch etwa durch unterschiedliche Plattformen und Browser von meinem sonstigen Online-Leben. Das eigentliche Problem ergibt sich aus der parallel eingeführten Pflicht zum Google+-Account, so sie denn auch für den Dienst Blogger kommt. Denn Google+ verfolgt eine rigorose Klarnamenspolitik, und entgegen anderslautender Behauptungen ist auch mit den kürzlich erfolgten Anpassungen vorläufig keine pseudonyme oder anonyme Nutzung von Google+ möglich. Zwar sind „Pseudonyme“ nun prinzipiell zulässig, aber nur, wenn Google nach Gutsherrenart entscheidet, dass das Pseudonym bekannt genug ist, um anerkannt zu werden – wenn man nicht gerade Madonna ist, ist das schon eine hohe Hürde.

Weitaus schwerwiegender: Selbst ein genehmigtes „Pseudonym“ bei Google+ ist keines, sondern allenfalls ein Spitzname oder Nickname, denn der Klarname wird immer mit angezeigt. Ich habe schon vor einiger Zeit in einem längeren Überblicksartikel Quellen zusammengestellt, warum Anonymität und Pseudonymität unverzichtbar im Internet sind. Violet Blue hat in ihrer Funktion als Tech-Bloggerin für ZDnet bei Google nachgehakt, was das Marketing-Sprech zum Thema Pseudonymität denn nun bedeutet – und ist nicht erfreut:

„Pseudonyms are used by normal people that require a self-defined level of separated anonymity to maintain the sanctity and safety of their everyday lives.

Any reasons behind emphasizing verifiable and real identity aside, it remains to be seen that Google is not willing to embrace the fundamental principles of pseudonyms.

I think that Google is simply attempting to redefine ’pseudonym‘ without the protections a functional pseudonym affords with all that pesky anonymity.

(…)

Pseudonyms used by everyday people are a cornerstone of Internet culture – in many cases, they are key to what makes Internet culture possible and great.

Google+ will only ever be as great as it allows the Internet to be itself inside Google’s walled garden.

Dear Google: you have an interesting problem. But in case you haven’t noticed, you’re kind of starting to scare people.

Auch im deutschsprachigen Raum sind Netizens alles andere als begeistert über diese Entwicklung und denken über Exit-Strategien nach, wozu auch Datenschützer raten. Im Zweifelsfall gibt es immer Alternativen, und nicht zuletzt eigene Erfahrungen an anderer Stelle haben mir gezeigt, dass man nicht zu viel Vertrauen in einen Anbieter setzen sollte, zumal die Geschichte dazu neigt, sich zu wiederholen.

Derzeit sieht es noch so aus als ob Blogger-/Blogspot-Nutzer sich nicht mit Google+ zwangsbeglücken lassen müssen – noch, denn so etwas kann sich ja schnell ändern. Und dann kann es passieren, dass ich meine Zelte hier abbrechen und an anderer Stelle neu anfangen muss. Auch wenn das bedeutet, hier verbrannte Erde zu hinterlassen, weil Leute, die alten Links auf meine Texte folgen, dann ins Leere laufen. Es bleibt spannend.

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