Samstag, 7. Mai 2011

Über die Schwelle

Der Tod kommt nicht immer leicht, auch nicht an einem schönen Frühlingstag. Und manchmal pirscht er sich langsam heran, über Wochen und Monate, nagt zunächst unbemerkt, eröffnet, einmal entdeckt, ständig neue Kriegsschauplätze, weckt gelegentlich Hoffnungen, um sie schnell wieder zunichte zu machen. Und hat man sich an die absehbare Unausweichlichkeit gewöhnt, kommt die große Attacke, von der man weiß, dass es die letzte ist – lange befürchtet, und dann doch schneller als erhofft.

Der medizinische Apparat und die Menschen darin tun, was sie können, wenn sie nichts mehr tun können: Noch eine Sonde, noch eine Infusion, noch ein Katheter, noch ein Sauerstoffschlauch – und all das nur, um die Schmerzen zu lindern und die letzten Stunden erträglicher zu machen, nicht, um das, was vom Leben noch übrig ist, zu verlängern. Der Körper arbeitet in seinen automatischen Reaktionen dagegen an und verstärkt die kreatürliche Angst vor dem spürbar nahenden Tod mit Panikreaktionen wegen der Luftnot, der Übelkeit, der Schmerzen. Dazu kommt das Gefühl, noch längst nicht alles erledigt zu haben, obwohl die letzten Dinge geordnet sind. All dies hindert, über die Schwelle zu treten, selbst wenn die Tür schon weit offen steht – Loslassen ist selbst unter solchen Bedingungen nicht leicht.

Nach einem langen Tag und einer noch längeren Nacht war es heute morgen dann soweit, und die Schwelle war kein Hindernis mehr. Kein Anfang, keine Ewigkeit, aber ein Ende des Leids. Was bleibt, sind Erinnerungen. Zu viele Erinnerungen, um sie alle behalten zu können, und zugleich zu wenige.

1 Kommentar:

Lia hat gesagt…

Ohweh welch Nachricht. Das einzig Beruhigende ist zu wissen das das Leid nachgelassen und die Ewigkeit in den Erinnerungen weiterlebt.
Ich weiß umärmeln hilft nicht viel dennoch drück ich dich mal gaaaanz fest.