Montag, 20. Dezember 2010

Kleine Siege, Niederlagen und Gegenoffensiven

Kurz vor Weihnachten noch einmal Unerfreuliches geballt im Überblick: Zwischenzeitlich wurde in Deutschland der hier schon mehrfach Thema gewesene Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) abgelehnt – allerdings nicht aus plötzlicher Einsicht der darüber abstimmenden Politiker, sondern aus schlichtem Parteienkalkül. Zeit zum Aufatmen über das vorläufige Scheitern des Versuchs, Netzsperren durch die Hintertür einzuführen, blieb nicht.

Das Gesetzeswerk samt technischem Unterbau mochte undurchdacht, undurchführbar und mit trivialen Maßnahmen zu umgehen sein – der Misserfolg hindert die Verfechter nicht daran, es weiterhin zu versuchen, auch wenn man sich dafür die Realität massiv zurechtbiegen muss. Lieber gibt ein Kurt Beck die beleidigte Leberwurst und zieht selbst den Amoklauf von Winnenden als Rechtfertigung für den Durchgriff par ordre de mufti heran. Dafür darf er sich zurecht selbst aus den eigenen Reihen abwatschen lassen:

„Schon längst ist klar, dass Politik das Internet nicht mehr als Chance begreift, sondern als Angriff auf die eigenen Habitate der Machtausübung. …

Also, in einfachen Worten, wie auch du sie liebst: Wenn ihr ganzen Kinder da draußen den Jugendmedienschutz nach Art und Weise der Länder nicht haben wollt, gibt es halt die Zensur von ganz oben. Verstanden hast du offensichtlich nicht, dass der Jugendmedienschutzstaatsvertrag mit echtem Jugendschutz kaum etwas zu tun hat, mit simpelsten Methoden ausgehebelt werden kann und reine Symbolpolitik ist, die nur deshalb so blühen kann, weil Bundesländer glauben, ihre Politik sei in irgendeinerweise Weise in so Gebilden wie das [sic!] Internet von Belang.“

Auch Politiker anderer Länder wollen das Internet unter Kontrolle bringen, natürlich mit den üblichen Argumenten: so hat das französische Parlament gerade ein ein Internetzensur-Gesetz erlassen „zur Bekämpfung der Kinderpornographie“, während englische Politiker ganz offiziell an die Kinder denken und aus Jugendschutzgründen für britische Bürger das ganze Internet prophylaktisch sperren und nur kindgerechte Inhalte frei durchlassen wollen. Wer als Erwachsener Pornos oder was die Zensoren dafür halten sehen will, hat ja sicher kein Problem, die Freigabe persönlich anzufordern, ebenso wie bei anderen in staatlichen Augen bedenklichen Inhalten – JMStV auf britische Art:

„Deutsche Netzsperren-Gegner können sich erst Mal freuen. Ihr Argument, dass Netzsperren einer Art recht schnell zu Sperren anderer Art und damit zu einer umfassenden Internet-Zensur führen werden, wurde einmal mehr bestätigt. Nicht in Saudi-Arabien, China oder der Türkei, sondern in Mitteleuropa, in der Geburtsstätte der parlamentarischen Demokratie.“

Dabei zeigt aktuell das Beispiel WikiLeaks, wofür sich eine zensurtaugliche Infrastruktur einsetzen lässt. Dass das offiziell verkündete Ziel des Jugendschutzes auf diese Weise dagegen überhaupt nicht erreichbar ist, weil sich soziale Probleme nun einmal nicht mit technischen Mitteln lösen lassen, erklärt Kristian Köhntopp ausführlich in Ein paar Zwischenbemerkungen, bevor der Tanz wieder losgeht, zum gefühlt 560.  Mal in der Hoffnung, dass vielleicht einer der Entscheider endlich auf den Trichter kommt:

„Schon das Wort ist falsch. Es geht nicht um JugendmedienSCHUTZ. Das kann 2010 nicht funktionieren. Es hat schon 1996 nicht funktioniert. Was wir brauchen ist JugendmedienERZIEHUNG. Durch Menschen. Mit Werten und Überzeugungen.

Und nicht einen netzwerkweiten Schutzroboter.“

Aber wie es in den Köpfen der Verantwortlichen zugeht, hat Kurt Tucholsky schon in seinen Betrachtungen zum Nachrichtendienst zur Bekämpfung von Schund- und Schmutzschriften festgehalten, unter dem Titel „Nr. 1“ 1929 in der „Weltbühne“ veröffentlicht. (Aktueller Nachtrag. Warum muss ich wieder einmal an Max Liebermann denken?)

Unterdessen wittern Anbieter von Netzwerktechnik ebenso wie Telekommunikationsunternehmen im Verzicht auf die Netzneutralität und stattdessen das selektive Übertragen von Daten ein lukratives Geschäftsmodell. Dass das nicht ohne Deep Packet Inspection und damit die vollständige Kontrolle des Netzverkehrs jedes einzelnen Nutzers geht – wen interessiert’s?

Aber die Vorratsdatenspeicherung ist ja gerade auch wieder ein Thema in der EU, und Panikmacher trommeln trotz gegenteiliger Beweise für mehr Datenspeicherung und Überwachung, egal wie dumm.

Aber wehe, die Bürger wollen den Schutz ihrer Daten selbst in die Hand nehmen. Die sollen lieber auf den Goodwill von Vater Staat vertrauen. Doch das passt ja zu einem Land, dessen Innenminister mit Terrorwarnungen Angst und Schrecken verbreitet, um anschließend zu behaupten, dadurch fühlten sich die Bürger sicherer.

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