Donnerstag, 10. Februar 2011

Merkbefreite Zone

Sebastian Brants Narrenschiff ist immer noch gut unterwegs

Man könnte es als der Karnevalszeit angemessene Lachnummer zur Kenntnis nehmen, wenn es nicht so traurig wäre: Da stellt sich im Jahr 2011 ein Michael Wettengel im Namen der deutschen Regierung und des Bundeskanzleramtes vor die Vertreter des IT-Branchenverbandes BITKOM und bramabarisiert darüber, dass „das Internet kein rechtsfreier Raum“ sein dürfe. Dass derartiger Unfug durch ständiges Wiederholen nicht wahrer wird: geschenkt. Genauso wie die Tatsache, dass dieser hochrangige Amtsträger und Politiker anscheinend die eigenen Gesetze ebenso wenig kennt wie das Prinzip der informationellen Selbstbestimmung – Wettengel findet es etwa unhöflich, dass diese seltsamen Netizens so oft nicht unter ihrem im Pass eingetragenen Klarnamen online agieren, sondern unter Pseudonymen.

Letzteres hat oft seine Gründe, und löblicherweise findet sich ja der eine oder andere Netzbürger bereit, Politikern und anderen Ahnungslosen zu erklären, wie das mit Identität, Vertrauen und Reputation im Internet seit Jahrzehnten funktioniert.

Doch die bei diesem Vortrag ebenfalls vorgestellte Agenda lässt einem das Lachen vergehen. In fröhlicher Ignoranz der Bürgerproteste und Argumente von Experten verfolgt da eine Kaste ihre Pläne, als wäre nichts gewesen: Zugangserschwerungsgesetz, zentrale Filterung von Netzinhalten, Vorratsdatenspeicherung und Überwachung stehen nach wie vor auf der Wunschliste mit dem Endziel einer umfassenden Netzüberwachung. Und Michael Wettengel ist nicht irgendwer, sondern bewährter Parteisoldat, Dr. jur., ehemals Leiter der Abteilung „Zentrale Dienste, Innen- und Rechtspolitik“ im Bundeskanzleramt und Mitglied der IT-Steuerungsgruppe des Bundes – das passt schon zusammen, auch wenn man sich im ersten Moment an Bundesnetzpolitiker Axel E. Fischer und dessen „Vermummungsverbot für das Web“ erinnert fühlt.

Es zeugt von einiger Chuzpe, einen solchen Forderungskatalog unter das Motto einer „Ethik für das Netz“ zu stellen und mit einem „staatlichen Schutzauftrag“ und dem „Umgang mit der Freiheit im Netz“ zu argumentieren. Aber auch das passt zu einer Regierung und einer Partei, die für ihre Vorhaben in bester Tradition Orwellschen Neusprechs Euphemismen wie freiheitsschonend und grundrechtsschonend prägt. Warum sollte man sich um Anstand, Ethik und Gewissen im politischen Leben kümmern, wenn man stattdessen öffentlichkeitswirksam vorgeben kann, das böse, böse Internet mit Seltsamkeiten wie dem „Gesetz zur Verhinderung schwerer Eingriffe ins Persönlichkeitsrecht“ in Schach zu halten und in Sachen Zensur im Gleichschritt mit anderen europäischen Staaten an demokratischen Kontrollinstanzen vorbeimarschiert.

Die Entscheider über das Wohl und Wehe des Staates beweisen wieder einmal, wie weit sie sich vom Volk entfernt haben. Entgegen früheren Vermutungen schweben sie allerdings nicht im Raumschiff Berlin oder Brüssel über den Dingen, sondern sind anscheinend mit dem Narrenschiff unterwegs. Man muss sich bald für den eigenen Nick schämen.

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