Dienstag, 30. März 2010

Idiotie, Lobbyismus, Unwissenheit, Faulheit und dreiste Lügen

Der Titel dieses Eintrags ist ein Zitat aus diesem lesenswerten Rant von Besim Karadeniz und der Grund, warum ich mich abermals mit einem ungeliebten Thema beschäftige, statt mich angenehmeren Dingen zu widmen: Die bisherigen nationalen Bestrebungen, das Internet unter dem Deckmäntelchen der Bekämpfung von Kinderpornographie unter Kontrolle zu bringen, haben sich jetzt auf EU-Ebene verlagert:

„It has come to our knowledge that European commissioner for home affairs, Cecilia Malmström will propose a filtering system of Internet web sites for all of the union member states.

This system has been deployed in many places already; in China they call it “The Golden Shield”, in Australia it filters out women with small breasts, and in Iran it prevents civil rights groups to use the Internet. Even though it can be circumvented easily, it still cuts off large parts of the populations from accessing information.

Once deployed, in the name of fighting paedophilia online, this block filter will rapidly extend to also block political, religious or other sensitive information.

Europe will no longer be an open society if there is state censorship. No matter how horrible the content of certain websites is, censorship is a method for despotic regimes, not for democracies. Censorship is an easy way out if you don’t want to deal with the real problem and lowers the incentive for authorities to get to the cause of child pornography. You will not find the solution by censoring our communication networks; censorship just treats the symptoms. People that really want to communicate with each other will always find methods to circumvent the control systems. The censorship that you propose will primarily affect internauts using plaintext communication networks.“

Manche Formulierung in der neuen Richtlinie der EU-Kommission zur Internetzensur ist dreist, dumm oder beides (via fefe):

„Externes Expertenwissen war nicht erforderlich.“

und

„Der Vorschlag steht aus folgendem Grund im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit:

Die Richtlinie beschränkt sich auf das zur Erreichung dieser Ziele auf europäischer Ebene erforderliche Mindestmaß und geht nicht über das dazu erforderliche Maß hinaus.“

Und natürlich kann keine Behauptung zu durchsichtig oder dämlich sein, um nicht von ahnungslosen Medienvertretern bzw. Dummschwätzern nachgeplappert zu werden. Wenigstens findet sich selbst dort der eine oder andere Kollege, der den Urhebern ihren Unfug um die Ohren haut.

Längst widerlegte Behauptungen werden zu diesem Anlass wieder aus der Versenkung geholt, wohl in der Hoffnung auf das kurze Gedächtnis der Massen:

„Richtig viel Hüttenkäse präsentiert Manfred Weber, CSU-Politiker aus Bayern und stellvertretender Vorsitzender der EVP-Fraktion. Auch ein Name, den man quasi noch nie gehört hat und das auch gar nicht so wichtig ist. Aber das Interview, dass Manfred Weber heute morgen in WDR5 losgelassen hat, ist hörenswert, wenn auch unter Schmerzen. Denn darin behauptet der gute Mann unter anderem doch tatsächlich, dass Serverstandorte mit kinderpornografischen Inhalten in der Ukraine stünden und in – Afrika. Für Ursula von der Leyen war die Kinderpornohochburg schlechthin immerhin noch Indien.“

Das aus Unkenntnis oder Kalkül lautstark demonstrierte Gutmenschentum verdeckt die realen Gefahren von mission creep und slippery slope, die diesen Initiativen innewohnen. Dass ausgerechnet die Innenministerin des Zensurvorreiters Deutschland jetzt dieses Vorhaben kritisiert, sollte unabhängig von der persönlichen Integrität von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger niemanden in Sicherheit wiegen: Während der designierte Vorsitzende der deutschen Enquete-Kommission zu „Netzpolitik und digitale Gesellschaft“, Axel E. Fischer, vor allem durch völlige Ahnungslosigkeit auffällt, sind die Zensurmöglichkeiten des in bestem Neusprech betitelten „Zugangserschwerungsgesetzes“, mit dem heute keiner seiner Urheber mehr etwas zu tun haben will, in diesem Staat durch die Hintertür des neuen Jugendmedienschutzstaatsvertrages wieder eingeführt worden:

„Die Behauptung von Kurt Beck, die ‚Freiheit erwachsener Internetnutzer’ werde mit dem Gesetz nicht angetastet, ist so offensichtlich falsch, dass man sich die Frage stellen muss, ob Beck falsch informiert wurde oder den Leser bewusst in die Irre führt. Denn der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag enthält nicht nur Regelungen zu absolut ‚unzulässigen Angeboten’, die – ergänzend zu bestehenden strafrechtlichen Regelungen – auch Erwachsenen verwehrt sind. Zusammen mit dem Rundfunk-Staatsvertrag besteht weiterhin die Möglichkeit von Internet-Sperren: die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) kann Internet-Zugangsanbieter verpflichten, ausländische Webseiten zu blockieren – ähnlich wie dies auch im umstrittenen Zugangserschwerungsgesetz vorgesehen war.“

Wer auch nur etwas Ahnung hat, kann nicht umhin, Autor Alvar Freude zuzustimmen, für den die neue Regelung „vollkommen untauglicher Unfug“ ist:

„Aber für Politiker wie Kurt Beck, die das Internet nur von Papier-Ausdrucken kennen, ist es ja nur eine technische Regulierung. Sie verstehen nicht, dass mit einer inhaltlichen Vorabkontrolle ein großartiger sozialer und kultureller Raum zerstört und gleichzeitig nichts für den Jugendschutz erreicht wird.“

Erst mal alles bis in die Funktionsuntüchtigkeit regulieren … ist schlicht politischer Aktionismus und Bevormundung aus zuweilen moralkonservativen, häufiger wohl noch aus weniger ehrenwerten Motiven und vor allem untauglich. Das Internet ist nun einmal kein Kindernetz:

„Und wenn man Eins und Eins zusammenzählt, wird man schnell zum Ergebnis kommen, dass das alles hanebüchener Schwachsinn ist, der vorne und hinten nicht funktioniert, außer wenn man seinen Kindern die Geschichte verkaufen will, dass das Internet nur aus zwei Handvoll Webservern besteht und die Kinder nirgendwo anders, wo es möglicherweise keinen Pfui-Filter gibt, ins Internet kommen.

Ein murksiger und handwerklich schlecht gemachter Staatsvertrag mehr im Land, ein zusätzliches weiteres Hintertürchen, um vielleicht in einigen Jahren mit einer Verschärfung des Jugendschutzes ein staatliches Filtersystem durchzupauken und eine weitere netzpolitische Aktion, die zeigt, dass die Politik vom Medienwandel so ziemlich gar nichts mitbekommen hat.“

Und warum bei den neuen Medien halt machen? Jugendschutz in der Bibliothek tut ebenfalls Not:

„Sollten sich die Sittenwächter unserer Zeit tatsächlich mal an Wikipedia-Artikeln wie ‚Vul**‘1 stören, müsste ich ggfs. auch den Band VAH-WEHL des Brockhaus aus dem Regal nehmen, um unsere Jugend vor unchristlichen Ferkeleien zu schützen. Der Band wird nur nach Vorlage des Personalausweises ausgehändigt.

Noch einmal zum Mitschreiben: „Internet-Sperren sind Unfug im Kampf gegen Kindesmissbrauch“, aber ein sehr guter Weg, eine Zensur-Infrastruktur zu etablieren.

Man möchte in letzter Zeit zu oft den Liebermann geben angesichts solcher Entwicklungen.

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