Mittwoch, 27. Januar 2010

Deutschland, kein Wintermärchen

An dieser Stelle möchte ich mich schon einmal von meinen Lesern in Deutschland verabschieden, solange diese noch Gelegenheit haben, es zu lesen. Sollte der aktuelle Entwurf des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages in die Realität umgesetzt werden, dürfte dieses Blog aus Deutschland nicht mehr erreichbar sein. Internet-Nutzer aus Deutschland können sich dann nicht nur von meiner winzigen Insel in den Weiten des WWW verabschieden, sondern auch vom Internet als freiem und offenem Medium, von jeglicher Anonymität, und von vielen anderen interessanten Seiten im Netz: It's the End of the Net As We Know It.

Der Entwurf des neuen deutschen Jugendmedienschutz-Staatsvertrages ist, wie es der AK Zensur in seiner umfangreichen Stellungnahme treffend beschreibt, Zensur im Namen des Jugendschutzes und geht weit über die Netzsperren-Fantasien der ehemaligen Familienministerin (vgl. hierzu diverse Artikel in dieser Abteilung) hinaus und versammelt sämtliche Ideen, die Politikern und Profilneurotikern in den vergangenen 15 Jahren in den Sinn kamen: Da wird die Sendezeitbegrenzung für Online-Inhalte wieder ausgegraben – Websites „ab 16“ etwa sollen von Deutschland aus nur zwischen 22:00 und 06:00 Uhr erreichbar sein dürfen. Wer Inhalte ins Netz stellt, muss sie allesamt nach Altersstufen etikettieren und sicherstellen, dass Nutzer nur das zu Gesicht bekommen, was sie ihrem Alter nach auch sehen dürfen.

Alles, was irgendwie „entwicklungsbeeinträchtigend“, „sozialethisch desorientierend“, und wie die Bezeichnungen alle lauten, ist, muss hinter den Schranken eines von der Kommission für Jugendmedienschutz zertifizierten Sperrsystems verschwinden – Anbieter müssen dokumentieren können, dass sich kein Minderjähriger einschleichen kann, am besten natürlich durch eindeutige Identifikation jedes einzelnen Besuchers. Abgesehen von den Kosten, die dann auf Anbieter zukommen, sind selbst kleine Blogautoren und Hobby-Forenbetreiber, die mit „ab 18“-Inhalten nicht das Geringste am Hut haben, einem erheblichen Risiko ausgesetzt: Sie sind für alle Inhalte verantwortlich, die ihre Besucher in Form von Kommentaren, Foreneinträgen, Tweets etc. hinterlassen. Damit haben sie ständige Überwachungs-, Prüf- und Löschpflichten.

Natürlich werden auch dann mit Sicherheit manche Anbieter derartige Vorschriften aus Unkenntnis oder Vorsatz ignorieren, und natürlich scheren sich Anbieter andernorts herzlich wenig um obskure Vorschriften aus einem weit entfernten Land. Deshalb sollen sowohl Hosting- als auch Zugangsprovider zur ständigen Überwachung des Datenverkehrs und zum Sperren aller gegen die Regeln verstoßenden Websites gezwungen werden.

Der ganze Katalog könnte sich als die übliche Inkompetenz der Internetausdrucker an den Schaltstellen der Macht interpretieren lassen. Allein, ich habe den Verdacht, dass da jemand nicht den Idioten, sondern den nützlichen Idioten gibt, und ich bin nicht der einzige. So heißt es in den Kommentaren bei netzpolitik.org:

„Ich denke es ist falsch hier von “Inkompetenz” zu reden. Die Auswirkungen dieses Gesetzes sind keine Fehler, die Politiker die ja eigentlich das richtige wollen, aus Unwissenheit machen. Tatsächlich geht es um genau das, was mancher nur für einen negativen Nebeneffekt hält:

1.) Die Etablierung einer Zensurinfrastruktur
2.) Die Totalsperrung aller Seiten, auf die sich nicht innerhalb Deutschlands Druck ausüben lässt
3.) Die Zensur aller missliebigen Inhalte
4.) Durch “wirksame Maßnahmen zur Altersverifikation” sollen Internet-Nutzer gezwungen werden, ständig ihre Identität gegenüber Webseitenbetreibern offenlegen zu müssen (z.B. per eingesandter Ausweiskopie, Post-Ident, usw.). Und zwar nicht nur bei “ab 18” Seiten, sondern schon bei “ab 6” Seiten, also allem was so im Netz existiert.

Letzter Punkt wird die kommerziellen Seitenbetreiber & Webwerber jubeln lassen, endlich hat man stets die kompletten Daten jedes Seitenbesuchers, niemand is mehr gegenüber besuchten Webseiten anonym.“

Und Kris Köhntopp betont:

„Sie zeigen aber nicht, daß sich hier gerade eine unheilige Allianz von Politik und Großmedien aufbaut, denen eine solche Entwicklung genau die gewünschten Veränderungen erzeugt:

  1. Die Publikation von kostenlosen, kooperativ erzeugten freien Inhalten wird aufwendiger.
  2. Es wird die Überwachungs- und Zensurinfrastruktur legitimiert, die schon im Rahmen der Zensursula-Diskussion gewünscht wurde.
  3. Das ganze wird am Ende ein Muster-Anwendungsfall für den elektronischen Personalausweis, der notwendig wird, um sich beim Provider und beim Site-Betreiber für den Internet-Zugang und den Inhaltszugriff zu legitimieren und die Bedarfsträger können endlich mit Identitäten statt IP-Nummern operieren, wenn sie ermitteln wollen.
  4. Mit diesen Identitäten lassen sich auch Meldungen und ihre Weitergabe ausgezeichnet tracken, sodaß wir auch eine technische Basis für den Verteilschlüssel der Einnahmen aus dem neuen Leistungsschutzrecht haben.“

Unter Nicolae Ceauşescu verfügte der rumänische Geheimdienst Securitate über Schriftproben aller verkauften Schreibmaschinen, um bei regimekritischen Publikationen und Kassibern sofort den Urheber ausfindig machen zu können. Aus heutiger Sicht muss man sagen: Ceauşescu war genauso ein Amateur wie Erich Mielke, während die Tragweite des JMStV-Entwurfs geradezu chinesische Ausmaße hat. Das Papier ist natürlich ein Maximalentwurf und die Ausgangsbasis, um sich auf immer noch restriktive Vorschriften „herunterhandeln“ zu lassen, die dann als „wenigstens nicht ganz so schlimm“ wahrgenommen werden. Die Freiheit stirbt stückweise.

Zum Thema:

Und dazu:

Alles egal?

1 Kommentar:

Frau Hölle hat gesagt…

Und die wirklichen Probleme handeln weiter ... die lachen sich doch ins Knie ... bald heißt es wieder "Back to the Paper" ... ätzend