Sonntag, 27. Dezember 2009

Devianz und Gefahr

Als Reaktion auf Stephenie Meyers puritanische Verwässerung des Vampir-Mythos in ihrer Twilight-Serie widmet sich Hans Schmid in Telepolis dem französischen Gore-, Exploitation- und Sexfilmer Jean Rollin. In der dreiteiligen Artikelserie „Vampire müssen nackt sein“, „Piraten, Dämonen und zitternde Pornographen“ und „Gruselsex und Umweltschutz im Filmmuseum“ beleuchtet er Hintergründe, Motive und Rezeption der an Sex, Gewalt und Tod ebenso wie an surrealistischen Elementen reichen Filme.

Rollin drehte seine Werke in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts meist unter widrigsten Bedingungen und mit minimalem Budget. Dabei hatte er ständig gegen Vorgaben seiner Geldgeber, vor allem aber gegen Zensurvorschriften zu kämpfen: Auch wenn lesbische Vampirdamen und SM-Szenen in dieser Zeit den Umsatz an der Kinokasse ankurbelten, gar zu explizit, zu sehr vom Regelkanon des Genres abweichend und Sehgewohnheiten und Erwartungshaltung des Publikums zuwiderlaufend sollte oder durfte es dann doch nicht sein. Auch im Vergleich mit den Problemen, die die britischen Hammer Studios bei ihren Filmen hatten, offenbart sich eine der 68-er-Bewegung zum Trotz (oder gerade deswegen) konservativ-prüde öffentliche Moral, nicht ohne Skurrilitäten hinsichtlich der Elemente, die als für Sitte, Anstand und öffentlichen Frieden bedrohlich empfunden wurden:

In Rollins Requiem pour un vampire wird eine der beiden Heldinnen von der anderen ausgepeitscht. Zur Sicherheit wurde die Szene zweifach gedreht: einmal ist das Folteropfer nackt, einmal trägt es Unterwäsche. Die Version mit der Unterwäsche war für den Fall gedacht, dass die andere verboten werden sollte.

Solche Alternativ-Sequenzen, die jemand wie Jess Franco andauernd drehte, sind eines der merkwürdigsten Phänomene im Exploitation-Kino der frühen 1970er: Auspeitschen war okay, aber bitte mit Slip und BH.

Wesentlich furchterregender als die heute oft unfreiwillig komisch wirkenden Horrorfilme ist übrigens ein anderer aktueller TP-Artikel: „Antisoziales Verhalten oder: Wie man Angst schürt und Kontrolle forciert“ blickt zurück auf die inzwischen über zehnjährige Praxis der „Anti-Social Behaviour Orders“, mit denen englische Behörden „abweichendes“ und „störendes“ Verhalten jeder Art bestrafen können, und die sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Konsequenzen von wachsender gefühlter Unsicherheit über Blockwartdenken bis zur ständigen Selbstzensur des Einzelnen.

1 Kommentar:

Anja Petterson hat gesagt…

Man sollte beim lesen der Twilight Bücher bedenken, dass sie für den 16 Jährigen Leser zugeschnitten sind. Daher hingt der Vergleich mit den "Erwachsenen" Vampirfilmen für mich.