Sonntag, 9. März 2008

Folter für die Augen

Bei der Reise durch das Netz stellt sich mir immer wieder eine Frage: Warum sind so viele Bondage- und BDSM-Seiten im Netz so furchtbar? Natürlich, BDSMer sind auch nur Menschen. Und genauso wenig, wie der Besitz einer Photoshop-Raubkopie jemanden zum Grafikdesigner macht, macht einen die Fähigkeit, Webseiten in einem Baukasten oder WYSIWYG-Editor zusammenzuklicken, äh, zu „programmieren“, zum Webgestalter und Informationsarchitekten. Aber muss man denn wirklich jedes Klischee so gnadenlos zur Realsatire übererfüllen?

In der Vorstellung vieler Sirs und Ladys kann eine Website zum Thema BDSM nur schwarz sein. So richtig dunkelschwarz. Am besten mit nur geringfügig hellerer violetter oder dunkelroter Schrift. Das dient nicht unbedingt der Lesbarkeit, aber der richtigen Einstimmung. Heißt ja schließlich nicht umsonst schwarze Szene. Damit die richtige Stimmung richtig richtig wird, darf man auf keinen Fall auf die Verliesmetapher verzichten. Also unbedingt genug flackernde Fackeln als Gif-Animationen auf die Seiten pappen. Kettenbilder als Absatztrenner – bevorzugt auch animiert – werden ebenfalls sehr gerne genommen.

Die Startseite muss eine riesengroße, finster formulierte Warnung und ein ebenso großes mittelalterliches Portal als Eingangstor enthalten. Im Online-Verlies drinnen wird es schließlich wirklich grausam. Frames sind spätestens seit Ende der 90er aus der Mode, aber für Webmaster und -mistresses aus der LLL-Ecke gehören sie immer noch zum guten Ton. Alle Inhalte werden natürlich an der Mittelachse ausgerichtet und ohne jede optische oder strukturelle Gliederung abgekippt. Und hat man einmal mehr Text als üblich, lässt sich ja der Schriftgrad verkleinern, damit mehr auf eine Bildschirmseite passt. Als Hintergrund eignet sich eine möglichst unruhige Kachel, die die Texte zusätzlich maskiert. Um den Besucher weiter zu quälen, wird jede freie Fläche mit Animationen zugepflastert; ein Dutzend konkurrierende Anigifs pro Seite dürfen es schon sein. Fortgeschrittene ergänzen das Ganze mit Flash-Sequenzen und Java-Applets. Dann weiß nicht nur der Besucher vor lauter Zappeln und Blinken nicht mehr, wo ihm der Kopf steht, auch Online-Anbindung und Rechner gehen in die Knie.

Reicht das alles noch nicht, gibt es den dritten Grad: Comic Sans als Schriftart, Mengentext in wechselnden Farben kursiv gesetzt, alles, was wie ein Link aussieht, ist mit Sicherheit keiner, dafür sind vorhandene Links nur beim Überfahren mit der Maus zu entdecken. Ehrensache, dass die nur mit eingeschaltetem Javascript funktionieren und die Zielseiten sich grundsätzlich in neuen Fenstern öffnen. Garniert wird das Ganze mit blinkendem Text und scrollenden Newstickern mit mindestens zwei Jahre abgehangenen Nachrichten. Für eine umfassende Sinneserfahrung muss eine zünftige BDSM-Website mit der passenden Musik unterlegt sein. Irgendwas Gruftiges oder aus dem Industrial-Bereich, auf allen Seiten in maximaler Lautstärke eingebunden und selbstverständlich nicht abschaltbar.

Ach ja, Inhalte soll es auch geben. Die dürfen nicht zu einfach zu erschließen sein. Eine undurchschaubare Navigation ist Pflicht, mit Logik sollen sich andere abgeben. Ausführliche Texte unterstreichen die eigene Kompetenz als BDSM-Experte. Rechtschreibung ist bei selbstverfassten Elaboraten optional. Abgesehen davon: Schreiben ist mühsam – dazu gibt es schließlich das Netz. Warum verlinken? Ist doch viel einfacher, alles zu klauen und auf die eigene Seite zu hängen. Eine Ausnahme von dieser Regel sind BDSM-Gedichte. Jeglicher in Reimen gefasste geistige Erguss, der in der Schreibtischschublade vor sich hin modert, muss als Demonstration inniglicher Devotion an die unvergleichliche Philosophie des BDSM auf die eigenen Seiten. Ganz wichtig ist das Belegen der persönlichen Fähigkeiten durch endlose Schilderungen selbst erlebter stunden- und tagelanger Sessions, die die Beteiligten eigentlich ins Krankenhaus gebracht haben müssten, gegebenenfalls ergänzt durch eine möglichst unspezifisch formulierte Kontaktanzeige und düstere Drohungen und Versprechungen an Subs, die sich in die Höhle des Löwen wagen.

Eine Website lebt von Bildern, und Bilder sollen die Besucher haben: Schlecht bearbeitet, im falschen Format abgespeichert, verzerrt eingebaut und riesengroß hochgeladen, so dass es selbst bei guter DSL-Anbindung minutenlang bis zur Anzeige dauert. Wie Texte und Musik sind die Bilder überall zusammengeklaut und am besten noch mit eigenem Copyright-Stempel versehen und als selbst geschossen beschrieben.

Das Ablegen der Website geschieht bevorzugt bei einem Gratishoster, der dick Werbung auf die Seiten packt und bei jedem Aufruf zusätzliche Werbefenster aufpoppen lässt. Ist das Ergebnis noch nicht eindrucksvoll genug, hängt man diverse im Ringtausch erworbene Awards ein. Unzulänglichkeiten in der Umsetzung kaschiert ein „Best viewed with“-Button, der dem Besucher Browser, Bildschirmauflösung und Systemeinstellungen vorschreibt. Deutsche Websites setzen dem Unfug gerne noch mit dem strunzdummen „Landgericht Hamburg“-Disclaimer die Krone auf. Neue Technik macht das Ganze nicht besser: MySpace-Seiten sind die Fortsetzung von Geocities mit anderen Mitteln. Aber so ist den Verantwortlichen wenigstens ein Ehrenplatz in Aufstellungen wie dieser oder dieser sicher.

1 Kommentar:

Anja Petterson hat gesagt…

oh je ...
da fällt mir doch ein, mal meine Seite etwas zu säubern ... wird Zeit.
*g*