Montag, 14. Januar 2008

Der Unterschied zwischen Spiel und Ernst

Außenstehenden ist manchmal schwer zu vermitteln, warum Bondage und BDSM mit realer Gewalt im Normalfall herzlich wenig zu tun hat. Der optische Eindruck ist häufig ein anderer, und Fesselpositionen wie ein straffer Hogtie können auch im Spiel sehr anstrengend sein. Dennoch besteht ein substanzieller Unterschied zwischen einer Session im gegenseitigen Einvernehmen und echter Folter und Gewalt. Ein aktueller Artikel aus dem Bereich der Forensik hilft teilweise unfreiwillig, das Problem etwas zu erhellen.

In Europa mehren sich die Fälle, in denen etwa Abschiebehäftlinge wegen tatsächlicher oder befürchteter Renitenz so massiv überwältigt und gesichert werden, dass sie diese Maßnahmen nicht überleben. In den USA, wo die Polizei immer noch etwas härter mit Verdächtigen und Tätern umspringt, sind solche Vorfälle bereits seit Jahrzehnten erheblich häufiger. Entsprechend zahlreich sind wissenschaftliche Studien zu diesem Thema. So findet sich in der Januar-Ausgabe des Journal of Forensic Sciences (Vol. 52, #1, p. 171-175, Jan 2007) der Artikel Ventilatory and Metabolic Demands During Aggressive Physical Restraint in Healthy Adults (Volltext, PDF), der zwei Studien an der Universität von San Diego zusammenfasst.

Hier wurden 30 Freiwillige, je 15 Männer und Frauen, dem psychischen und physischen Stress einer Verhaftung mit maximaler Ruhigstellung ausgesetzt. Die Versuchskaninchen mussten dabei einen mit polizeitypischen und weniger typischen Fesselmaterialien ausgeführten Hogtie – bäuchlings, Hände auf den Rücken, Füße möglichst dicht an die Hände gezogen – erdulden. Dabei schränkten teilweise zum einen abgedichtete Atemschutzmasken die Atmung der Teilnehmer ein. Zum anderen wurden ihnen teilweise Säcke mit Bleischrot auf den Rücken gelegt, die das Gewicht eines auf ihnen knienden Polizisten simulierten. Dann sollten die Teilnehmer jeweils versuchen, sich mit aller Macht zu befreien, während sie lautstark angebrüllt wurden. Trotz dieser Handicaps und Stressfaktoren bestand für die Freiwilligen keine Erstickungsgefahr, so die Studie, obwohl ihre Atmung aufgrund der Versuchsanordnung beeinträchtigt war.

Also alles im grünen Bereich? Wie immer sind auch hier die Details wichtig. So dauerte die heiße Phase des Versuchs gerade einmal 60 Sekunden. Dennoch wurden alle Teilnehmer davon so erschöpft, dass ihre Gegenwehr bereits vor Ablauf der Minute dramatisch nachließ. Dabei waren alle Kandidaten sorgfältig ausgewählt worden, jung, mindestens durchschnittlich fit, nicht übergewichtig, ohne Herzkrankheiten und Drogenvergangenheit. Diese Punkte schließen genau die Faktoren aus, denen eine wichtige Rolle bei Todesfällen in vergleichbaren Situationen zugeschrieben wird. Zudem wurden die Teilnehmer nicht wie bei einer realen Verhaftung überwältigt, sondern geruhsam fixiert, während sie erhöht auf einer weichen Matte lagen, die auch bei den Befreiungsversuchen mehr Nachgiebigkeit für Brust- und Bauchraum bot als ein Betonboden und so das Luftholen erleichterte. Und schließlich wussten die Kandidaten, was auf sie zukam, beteiligten sich freiwillig und konnten anders als in der Realität im Notfall abbrechen. Zwei von ihnen nutzten übrigens diese Möglichkeit.

So ließ die Versuchsanordnung, die den Ernstfall simulieren sollte, eine Reihe wichtiger Elemente dieses Ernstfalles vermissen. Diese unbeabsichtigte Nähe zu einer abgesprochenen Spielsituation dürfte durchaus dazu beigetragen haben, dass eine solche Zwangsmaßnahme harmloser erscheint, als sie es beim realen Einsatz gegen ein unkooperatives Gegenüber tatsächlich ist. Furcht und Aufregung erhöhen den Stressfaktor ebenso wie eine vorausgehende Verfolgungsjagd oder ein Kampf. Genauso wenig berücksichtigt die Studie die Tatsache, dass Polizisten in der Hitze des Gefechts ihren Gegner zu mehreren niederhalten, ohne sich um die Stärke und die Platzierung des ausgeübten Drucks zu kümmern. Für Verhaftungsphantasien gilt dasselbe wie für Vergewaltigungsphantasien: Was in Kopfkino und Spiel kickt, ist in seiner realen, non-konsensuellen Variante für den/die Betroffene(n) weder spaßig, noch antörnend, noch ungefährlich.

3 Kommentare:

Ivy hat gesagt…

Sehr interessant - Ich frage mich, wie weit das Non-Con-/ oder Con-Mindset diese Studie wirklich beeinflußt - oder sind es doch die unbeachteten körperlichen Risikofaktoren, die den gravierenden Unterschied machen ?

The Jester hat gesagt…

@Ivy: Ich denke, beides spielt eine Rolle. Allerdings dürfte die psychische Komponente in solchen Verhaftungssituationen nicht zu unterschätzen sein: Opfer wird zu Boden gedrückt, kriegt zu wenig Luft. Opfer wehrt sich. Polizisten interpretieren das als Widerstand, reagieren mit stärkerem Zwang. Opfer kriegt noch weniger Luft, gerät in Panik, wehrt sich heftiger. Polizisten wollen nun den Widerstand mit aller Macht brechen und drücken das Opfer solange nieder, bis bei dem die Lichter ausgehen. Dabei auf Seiten des Opfers die ganze Zeit das Gefühl der Ohnmacht als Panikverstärker - und eben keine Möglichkeit, abzubrechen, keine Ampel, kein Stoppwort, keine Absprache, keine Freiwilligkeit.

Ivy hat gesagt…

Jaja... meine Antworten dauernd manchmal^^

Kennst du das unsubscribe-Video von Amnesty international ? In der Entstehungsgeschichte dazu beschreibt der Schauspieler, der die Foltersituation real für das Vid durchlitten hat, wie anstrengend und wie erschöpfend die Situation für ihn war - Beeindruckend und deckt sich zugleich mit dem was du schreibst... wenn dazu noch das Non-Con, die Ausweglosigkeit dazu kommt ist das wirklich der eigentliche Verstärker um vielleicht auch innerlich aufzugeben.